Premiere ohne Hauptdarsteller - Faktenkontor Premiere ohne Hauptdarsteller - Faktenkontor

Premiere ohne Hauptdarsteller

„Geiz ist geil“-Mentalität sorgt für epischen Facebook-Video-Fail bei der Deutschen Bahn

Web-Videos können unheimlich vielen verschiedenen Zwecken dienen. So gibt es zum Beispiel welche, aus denen man lernen kann. Oder auch solche, die unterhaltsam sind, obwohl oder gerade weil sie zum Fremdschämen anregen.

Die Deutsche Bahn hat es nun geschafft, diese beiden Video-Genres geschickt miteinander zu verbinden.

Zu sehen ist das revolutionäre Meisterwerk auf der Facebook-Seite der DB Personenverkehr.

Eigentlich sollte es eine Live-Übertragung von der Ankunft des neuen ICE 4 am Berliner Hauptbahnhof werden, moderiert von einer Art firmeninternem Nachwuchs-Reporter-Praktikanten. Hat leider nicht so ganz geklappt.

 

Screenshot des ICE-4-Videofail von der Facebookseite von DB Personenverkehr
Quelle: Screenshot www.facebook.com/DBPersonenverkehr/

 

Für alle, die sich die rund zwei Minuten nicht selbst anschauen wollen, hier eine kleine Zusammenfassung:

Es beginnt mit einem nicht nur langen und langweiligen, sondern auch noch hoffnungslos verwackelten Schwenk durch die Bahnhofshalle. Er endet auf dem erwähnten „Reporter“, der anscheinend in der dunkelsten Ecke des Bahnsteigs steht. Format und Auflösung deuten darauf hin, dass es sich bei der Kamera um ein altersschwaches Amateur-Modell handelt. Geführt wird sie offensichtlich von jemandem, der nicht die geringste Ahnung von so grundlegenden Dingen der Kameraarbeit wie der Wahl des Bildausschnitts hat. Wie bei zahllosen, schmerzhaften Amateur-Urlaubs-Schnappschüssen ist das im Schatten kaum zu erkennende Gesicht des Reporters erstmal genau in der Mitte des Bildes platziert, mit ganz viel ungenutzter „Luft“ darüber. Ein wenig ändert sich die Einstellung noch, aber in erster Linie nur durch weiteres Herumwackeln, oder weil der Reporter aus dem Bild tänzelt und die Kamera nicht ordentlich nachgeführt wird.

Er erzählt uns, dass gleich der ICE 4 einlaufen würde. Die Zeit bis dahin versucht er zu überbrücken, indem er Informationen aus den Marketing-Texten zum Zug herunterbetet. Was genau er gesagt hat? Habe ich schon vergessen, ging zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Denn diese schon nur mäßig interessanten Details werden nur erzählt, nicht gezeigt. Offensichtlich rechnet der junge Reporter damit, dass jeden Moment der Zug einfährt und er nichts mehr sagen muss.

Leider irrt er sich da.

Denn, wie könnte es bei der DB anders sein: Die Bahn kommt nicht. Die Live-Übertragung von der ICE-4-Einfahrt muss leider komplett ohne ICE 4 auskommen.

Am Ende der zwei Minuten fällt dem Reporter nichts mehr ein, er stottert nur noch ein paar Ähs und Ähms ans Ende unvollständiger Sätze, versucht, sich ein Lachen zu verkneifen – und urplötzlich endet die Übertragung.

Was genau da los war? Das bleibt ein Geheimnis, denn die Facebook-Crew der DB bleibt zu dieser Panne arg wortkarg. Außer einem ausweichenden „Leider funktionierte die Live-Übertragung dann nicht mehr“ keinerlei konkrete Informationen. Erst ein Nutzer erzählt, der neue ICE hätte letztlich elf Minuten Verspätung gehabt.

Über den ICE 4 lernen wir in dem Video nicht viel. Aber darüber, was entscheidend ist, wenn man gute Videos produzieren will:

Man sollte jemanden damit beauftragen, der sich mit so etwas auskennt. Und ein angemessenes Budget zur Verfügung stellen.

Was gut bezahlte Profis anders gemacht hätten?

Zum Beispiel dafür gesorgt, dass es direkten Kontakt zu jemandem gibt, der Bescheid sagt, wenn der Zug tatsächlich kommt. Und den Livestream erst dann gestartet.

Nicht nur eine ordentliche Kamera, sondern auch ein Kopflicht (= Scheinwerfer, der auf der Kamera selbst sitzt) und ein Stativ mitgebracht. Ein gutes, mit dem sich saubere Schwenks machen lassen. Und die Kameraführung jemandem überlassen, der weiß, was er tut.

Einen besseren Standort gesucht.

Die Moderation vorher geübt.

Und wahrscheinlich vor alledem noch mal darüber nachgedacht, ob „Zug kommt an“ als Thema allein wirklich spannend genug ist. Denn ganz ehrlich: Ich weiß natürlich nicht, was noch hätte kommen sollen, wenn der Zug pünktlich da gewesen wäre. Aber ich hege den starken Verdacht: Nicht viel.

Wenn man Videos zur Social-Media-Verwertung nach der „Geiz ist geil“-Devise produziert; sich denkt, „Hauptsache bunt, bewegt und vor allem billig“ – dann kann man sich den Aufwand gleich ganz sparen.

Denn so hat die Bahn nicht bewiesen, dass ihre Züge toll sind und dass sie hippe Web-2.0-Natives sind. Sondern nur all den Kritikern, die an der Unpünktlichkeit der Bahn verzweifeln, eine perfekte Steilvorlage geliefert.

Im Beratersprech ausgedrückt: Die Deutsche Bahn hat bei ihren Corporate-Social-Media-Aktivitäten noch ein erhebliches Optimierungspotenzial.

Roland Heintze

 

Sichern Sie sich Ihr persönliches Exemplar des Ratgebers „Vordenker in der Social-Media-Kommunikation“ – ein Sonderdruck des Harvard Business Managers in Kooperation mit der Kommunikationsberatung Faktenkontor. Eine E-Mail an Faktzweinull@Faktenkontor.de genügt. Jetzt kostenfrei bestellen!


Derweil, bei Mediengau: Jörg Forthmann analysiert Apples Reaktion auf „Hissgate“ in Krisen-PR: Wie Apple gegen den nächsten iPhone-Skandal ankämpft

 

Roland Heintze
Posted inBlog: ReputationzweinullTags: , , , ,

Treten Sie der Unterhaltung bei:

  1. Avatar for Anonymous

1 Comment

  1. Danke für diese Erfrischende Kritik! Ich finde es toll dass die Bahn das Video online gelassen hat. Mittlerweile 45.000 Views 😀

Diesen Eintrag kommentieren

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert