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Krisen-PR: Damit die Wurst keine Zigarette wird

Wie sich „Rügenwalder Mühle“ gegen den Anti-Fleisch-Trend stemmt

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„Die Wurst ist die Zigarette der Zukunft“, prognostiziert der Chef der „Rügenwalder Mühle“ Christian Rauffus. Er  liefert ein exzellentes Beispiel, wie sich Unternehmen erfolgreich gefährlichen gesellschaftlichen Entwicklungen entziehen können. Lesen Sie hier mehr.

Immer mehr Deutsche verzichten auf Fleisch. 39 Prozent der Bundesbürger essen bewusst weniger Fleisch und Wurst, ermittelte der Marktforscher POSpulse. Gleichzeitig sinkt die Akzeptanz für Massentierhaltung und die quasi industriellen Schlachtfabriken.

„Rügenwalder“ zieht die Konsequenzen und setzt auf vegetarische Wurstwaren. Vorkämpfer im Betrieb ist Marketingchef Godo Röben. Für das Unternehmen sind die fleischlosen Produkte ein Kulturbruch. Ein Gutteil der 450 Mitarbeiter sind gelernte Metzger. Röben tingelte mit seinem Veggie-Vortrag durch die Firma. Belegschaft, Geschäftsführung, Beiräte, Vertrieb: Alle bedrängte er, die vegetarischen Wurstspezialitäten zu produzieren. Kann das gutgehen? Hat vegetarische Wurst das Potenzial zum Massenprodukt? Die Zweifel sind so groß, dass der Veggieplan mehrfach gestoppt wird, während Röben im Urlaub ist.

Drei Monate nach Markteinführung sind vier der zehn meistverkauften Rügenwalder-Produkte fleischfrei. „Die Welt ist nicht gerettet, wenn es keine Wurstfabriken gibt“, resümiert Rauffus gegenüber dem Spiegel. „Aber wir müssen etwas ändern. Für mich geht es nicht um das arme Tier, auch weiß ich nicht, ob vegetarisches Essen wirklich gesünder ist. Aber die Fleischproduktion verbraucht zu viele Ressourcen, das ist unstreitig.“ Dennoch: Die Entscheidung für die Veggie-Linie „war eine kaufmännische“.

krisen-PR RügenwalderDie Gesellschaft urteilt über die Geschäftsmodelle von Unternehmen – und zieht ihre Konsequenzen. Energieversorger, Banken und Lebensmittelindustrie haben das bereits zu spüren bekommen. Das Geschäftsmodell beantwortet die Frage nach der Daseinsberechtigung des Unternehmens, und zwar nicht aus betriebswirtschaftlicher, sondern aus gesellschaftlicher Sicht. Gefragt sind Shared-Value-Modelle, bei denen Menschen direkt von der Geschäftstätigkeit der Betriebe profitieren. Doch welchen Wert liefert „Rügenwalder Mühle“?

Klassische Orientierungsrahmen wie Großfamilie, Militär oder Kirche haben sich weitgehend aufgelöst. Für die damit einhergehenden Stabilitätsverluste gibt es Souveränitätsgewinne. Doch die Menschen suchen weiterhin Orientierung und halten sich an konservativen Werten fest – nicht, um sie zu erfüllen, sondern um Menschen und Institutionen zu finden, die sie erfüllen. Werte pervertieren damit zu einer Anspruchshaltung gegenüber Unternehmen, die diese Werte zu erfüllen haben, um akzeptiert zu sein. Das führt dazu, dass die Bürger zunehmend Verantwortung an Unternehmen delegieren. Früher wurde für „Brot für die Welt“ gespendet, heute erwarten wir, dass Landwirtschafts-, Saatgut- und Lebensmittelfirmen den Hunger beseitigen. Und als wäre das nicht genug, wollen die Menschen dabei eingebunden werden – freiwillig, ohne Verpflichtung, aber als wichtige Meinungsbildner. (Aus dem Buch „Vordenker im Reputationsmanagement“)

„Rügenwalder“ hat vorhergesehen, dass sich die Anspruchshaltung der Gesellschaft gegenüber Wurstfabrikanten verschärft. Nun bietet die Firma ein Produkt, mit dem sich die Verbraucher ohne großen Aufwand ein gutes Gewissen verschaffen können. Nicht immer. Aber immer mal wieder. Das reicht.

Krisenkommunikation vorausschauend verhindert

„Rügenwalder“ hat seit 2015 rund 44 Millioen Euro in Werbung für Vegetarisches investiert. Alle Wettbewerber zusammen kommen gerade mal auf 1,5 Millionen Euro. Röben hat also mit hohem Einsatz die Geschäftsstrategie umgesteuert, denn der Jahresumsatz beläuft sich gerade mal auf gut 200 Millionen Euro. Die Veggie-Werbung hat also ein Fünftel eines Jahresumsatzes verschlungen – das ist viel Geld in einer Branche, in der nur noch wenig verdient wird.

Der Erfolg gibt Röben recht. „Der Trend zu vegetarischen Fleisch- und Wurstalternativen wird ein langfristiger und nachhaltiger sein“, zitiert das Handelsblatt den vorausschauenden Marketingmann. Und „Rügenwalder“ surft ganz weit oben auf der Erfolgswelle. Wettbewerber wie „Herta“ oder „Homann“ ziehen zaghaft nach, doch es gelingt ihnen bei weitem nicht, sich als glaubhafter Veggie-Anbieter zu positionieren.

Jörg Forthmann

Jörg Forthmann
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