Wie Krisen-PR BASF in die Krise stürzt - Faktenkontor Wie Krisen-PR BASF in die Krise stürzt - Faktenkontor

Wie Krisen-PR BASF in die Krise stürzt

Unterschätzte Gefahr: Szenarienpapiere aus PR-Krisen können selbst zum Krisenauslöser werden

Wie Krisen-PR BASF in die Krise stürztBild berichtet von einem Chemieunfall bei BASF, den der Konzern verheimlicht haben soll. Das Brisante: Bild zitiert aus internen Strategiepapieren, die BASF als gewissenlos entlarven. Unterlagen aus der Krisenkommunikation werden damit selber zum Krisenauslöser. Was Kommunikatoren aus diesem Fall lernen können, lesen Sie hier.

Am 15. Juni soll im Stammwerk Ludwigshafen ein hochgiftiges Gasgemisch aus Stickstoff und Phosgen ausgetreten sein. Zwei Mitarbeiter kommen mit dem Gas in Kontakt und müssen in der BASF-Ambulanz behandelt werden. In den Strategiepapieren, die dem Boulevardblatt vorliegen, werden diese verletzten Mitarbeiter als „mittleres Risiko“ eingeschätzt. Deshalb werden „Betreuung“ und „Hinweis auf die vertragliche Schweigepflicht“ vorgeschlagen. Externe Ärzte sollen vorsichtshalber nicht eingeschaltet werden.

Zu dieser Zurückhaltung bei der medizinischen Behandlung der eigenen Mitarbeiter passt so gar nicht die große Sorge um einen denkbaren Tod der Arbeiter. Nur einen Monat zuvor gab es einen Todesfall durch einen vergleichbaren Unfall in einem koreanischen BASF-Werk: „Exitus eine Woche später im Krankenhaus. Lungenzersetzung durch Phosgen nicht zu stoppen.“ Mit dem zweiten Unfall in Ludwigshafen wird eine öffentliche Diskussion über Sicherheitsstandards beim Chemiekonzern befürchtet. Obendrein könnten Sicherheitsbehörden bei Ortsterminen weitere Mängel entdecken und bemängelt, so steht es im Krisenpapier.

krisen-pr-basf-2Die internen Papiere lösen einen gewaltigen Imageschaden für BASF aus, denn der Konzern präsentiert sich gnadenlos berechnend und gewissenlos. Kein Außenstehender versteht, dass in einer Krise Szenarienpapiere ausgearbeitet werden, um die bestmögliche Reaktion des Unternehmens abzuwägen. Die Sachlichkeit, mit der Risiken und Chancen abgewogen werden, entbehrt jedweder Emotionalität und Anteilnahme. Damit sind diese Papiere in keiner Weise geeignet, die Erwartungshaltung des Publikums zu bedienen: Anteilnahme, Betroffenheit und unumschränktes Kümmern um Betroffene. Trotzdem ist es richtig, in einer Krise die möglichen Szenarien kühl zu erörtern und Hyperaktivität durch militärisch anmutende Gefechtsordnung zu ersetzen.

Allerdings: Derartige Papiere sind sehr gefährlich, wenn sie an die Öffentlichkeit geraten. Es ist zu vermuten, dass ein Mitarbeiter oder Ex-Mitarbeiter die internen Dokumente an Bild durchgestochen hat. Aus Rache. Mitarbeiter sind die häufigsten Auslöser einer Krise. Vor diesem Hintergrund ist der Umgang mit Szenarienpapieren gerade in Großunternehmen brandgefährlich. Sie werden die Hierarchiestufen hinauf bis ins Topmanagement hinaufgereicht und mit Umsetzungsanordnungen wieder heruntergegeben. Auf dem Weg gibt es zahlreiche Führungskräfte, Stäbe und Sekretariate, die die Unterlagen sehen können. Obendrein verbreiten sich die Szenarienpapiere digital über E-Mail-Postfächer und abgelegt auf Servern. Wenn dann ein Mitarbeiter auf Rache sinnt, ist das kompromittierende Material schnell zur Hand. Da hilft es auch nicht, wenn auf den Dokumenten der Hinweis steht „Streng vertraulich!“, wie bei BASF. Das macht sie eher noch interessanter für Journalisten.

krisen-pr-basf-3Deshalb sind Firmen gut beraten, ihre Szenarienüberlegungen nur sehr sparsam zu dokumentieren und vorzugsweise mündlich die Lage zu erörtern. Wenn tatsächlich Dokumente angefertigt werden, ist der Kreis der Empfänger extrem eng zu halten. Das elektronische Weiterreichen und Abspeichern muss streng begrenzt werden. Professionelle Krisenkommunikatoren verfügen über einen digitalen Warroom außerhalb der Firmen-IT, auf dem sensible Dokumente abgespeichert werden – und nur dort. Idealerweise gibt es nur sehr wenig Schlüsselpersonen, die auf diesen Warroom zugreifen können.

BASF beteuert übrigens, dass das Unternehmen die Strategiepapiere nicht kenne. Sie „geben nicht die Position der BASF wieder.“ Diese Abwehrreaktion schlägt fehl. Der vermeintliche Skandal lässt sich so nicht mehr bremsen.

Jörg Forthmann

Jörg Forthmann
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2 Comments

  1. Statement der BASF zum Artikel in der BILD-Zeitung von 29. September 2016:
    Die BILD-Zeitung berichtet in ihrer heutigen Ausgabe von einem „Giftunfall“ bei BASF. Die Zeitung stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob BASF etwas vertuschen will. Das Unternehmen widerspricht dieser Darstellung. BASF hat zu jeder Zeit entsprechend der geltenden Gesetze und der darüber hinausgehenden internen Vorschriften informiert. Wir werden dennoch den von der Zeitung erhobenen Behauptungen entschieden nachgehen.
    Der BASF sind die Schreiben, die Bild zitiert, nicht bekannt. Wir distanzieren uns von der Art und Weise dieser Darstellungen. Sie stehen im Gegensatz zu Selbstverständnis und Anspruch der BASF in Sicherheitsfragen und im Umgang mit Behörden und Öffentlichkeit.
    Es handelt sich bei den angesprochenen Vorfällen um zwei unterschiedliche Ereignisse in Ludwigshafen und Südkorea. Eine Emission von Phosgen in die Umwelt oder eine Gefährdung der Bevölkerung war durch technische Schutzmaßnahmen in beiden Fällen zu jeder Zeit ausgeschlossen. Es wurde entsprechend der gesetzlichen Meldeverfahren korrekt gehandelt.
    Hintergründe zu den Ereignissen in Korea und Ludwigshafen
    In beiden Fällen handelt es sich um Ereignisse in Produktionsanlagen für Kunststoffvorprodukte (TDI/MDI). An unserem Standort in Yeosu in Südkorea kam am 27. Mai 2016 ein Mitarbeiter einer von BASF mit Wartungsarbeiten beauftragten Firma mit Phosgen in Kontakt. Er verstarb an den Folgen am 9. Juni. Eine Gefährdung von Mitarbeitern außerhalb des unmittelbar betroffenen Bereichs hat zu keinem Zeitpunkt bestanden. Die zuständigen Behörden in Korea ermitteln noch, ob Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter vorlag. Zum jetzigen Zeitpunkt können daher keine Angaben zur Unfallursache gemacht werden. Alle zuständigen Behörden und die Mitarbeiter der BASF Korea wurden umgehend informiert. Auch die lokale Öffentlichkeit, die lokalen Medien und das Umfeld wurden unter anderem über die Internetseite und die Facebookseite der BASF Korea informiert.
    In Ludwigshafen ist am 15. Juni 2016 bei Inbetriebnahmearbeiten innerhalb einer abgeschotteten Sicherheitskammer eine geringe Menge eines Gasgemischs aus Stickstoff und Phosgen ausgetreten. Die Sicherheitssysteme reagierten wie vorgesehen. Zwei Mitarbeiter, die sich an einer einige Meter entfernten Stelle aufhielten, verließen die Kammer umgehend. Das ausgetretene Gas wurde wie vorgesehen in der geschlossenen Sicherheitskammer aufgefangen und sachgerecht entsorgt. Eine Behördenmeldung war nicht erforderlich, da es zum einen keine Emission in die Umwelt gab, zum anderen niemand verletzt wurde. Die Mitarbeiter wurden vorsorglich zur Beobachtung in die BASF-Ambulanz gebracht und dort ärztlich untersucht. Es ergaben sich keine Befunde für eine Phosgenexposition. Beide Mitarbeiter konnten die Ambulanz beschwerdefrei nach ausreichender Überwachung verlassen. Es waren keine weiteren medizinischen Untersuchungen erforderlich.
    In allen Anlagen von BASF zur Produktion von TDI wird Phosgen als Einsatzstoff benötigt. Phosgen wird direkt in den Anlagen aus Chlor und Kohlenmonoxid (CO) hergestellt und sofort weiterverarbeitet. Das geschieht in einer gekammerten Anlage, in der alle Verfahrensschritte, die mit Phosgen zu tun haben, untergebracht sind. Die Luft in dieser Kammer wird ständig überwacht und ausgetauscht. Phosgenhaltige Abgase werden in speziellen Vorrichtungen unschädlich gemacht.
    BASF nimmt die Vorfälle sehr ernst. An allen Standorten, die mit Phosgen arbeiten, wurden nach diesen beiden Vorfällen Gespräche geführt, um die bestehenden Sicherheitsvorschriften zu bekräftigen. Sollten sich aus den Ermittlungsergebnissen in Korea Hinweise auf mögliche Verbesserungspotenziale ergeben, werden die Sicherheitsmaßnahmen entsprechend ergänzt.

  2. Sehr geehrte Frau Moore-Braun,
    vielen Dank für Ihre Darstellung der Geschehnisse. Das ist gerade für die Leser des Mediengaus hoch interessant.
    Beste Grüße
    Jörg Forthmann

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