#medbikini: „Journal of Vascular Surgery“ blamiert sich mit Social-Media-„Studie“
Wer viel in Sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Instagram unterwegs ist, dem sind in letzter Zeit vermutlich vermehrt Bilder von Ärztinnen und Ärzten und Angehörigen begegnet, in denen sich diese am Pool oder Strand zeigen. Der Grund: Unter dem Hashtag #medbikini protestieren sie damit gegen die Studie „Prävalenz unprofessioneller Social-Media-Inhalte bei jungen Gefäßchirurgen“, die im Fachblatt „Journal of Vascular Science“ veröffentlicht wurde. Und die aus ihrer Sicht zutiefst sexistisch ist.
Worum geht es genau? Das Autoren-Team aus sieben Männern und einer Frau hat sich (heimlich mit Hilfe gefakter Profile) die Facebook-, Twitter- und Instagram-Accounts von 480 angehenden Gefäßchirurgen angeschaut. Mit dem erklärten Ziel, „das Ausmaß unprofessioneller Social-Media-Inhalte“ unter Medizinern in verschiedenen Stufen dieser Facharztausbildung zu bewerten. Denn das hätte ja bekanntlich Auswirkungen auf Entscheidungen von Patienten.
Als potenziell unprofessionellen Inhalt stuften die „Forscher“ dabei unter anderem Bikini-Bilder ein. Die Botschaft scheint klar: Eine Ärztin, die sich in zweiteiliger Bademode auf ihrem privaten Social-Media-Account zeigt, verhält sich „erschreckend unprofessionell“.
Die Studie deshalb als sexistisch abzutun, greift allerdings etwas zu kurz.
Sie ist eher ein „Equal Opportunity Offender“. Denn die Studie schießt sich nicht ausschließlich auf Frauen im Zweiteiler ein, sondern verurteilt darüber hinaus auch geschlechtsunabhängig alltägliche Verhaltensweisen, die den Autoren gegen den Strich zu gehen scheinen. Zum Beispiel, wenn sich Mediziner in ihrer Freizeit mit einem alkoholischen Getränk in der Hand zeigen.
Das Kernproblem der Studie: Was als „potenziell unprofessionell“ gilt, legen die Autoren einfach selbst fest, anstatt es in irgendeiner Weise zu untersuchen und zu begründen. Damit ist die Studie von Anfang bis Ende weit weg von wissenschaftlichen Standards und seriöser Forschung, und somit ruinös für die Reputation der Autoren und des Fachmagazins.
Zwar beziehen sich die Autoren vage auf zwei ältere Studien; doch die sind, vornehm ausgedrückt, auch nicht gerade Qualitätsprodukte (zumindest eine der beiden schließt zum Beispiel explizit das Eintreten für die Gleichgeschlechtliche Ehe oder die Legalisierung von Marihuana als „potenziell anstößig“ ein). Zudem räumen die Autoren gegen Ende fast beiläufig ein, dass sie die Kernfrage, welche Auswirkungen die Profile auf Patienten hatten, überhaupt nicht untersucht haben.
Eine ehrliche Zusammenfassung der Studie wäre also gewesen: „Wir haben mal unsere Kollegen im Social Web gestalkt und dabei herausgefunden: Ärzte sind auch Menschen; haben Freizeit und ein Privatleben, und ihre Social-Media-Aktivitäten sind im Vergleich mit ihren Altersgenossen völlig unauffällig.“
Immerhin: Fachblatt baut Reputation im Nachgang wieder auf
Besonders peinlich ist der Vorgang für das Journal of Vascular Surgery. Denn dass es eine derartig offensichtlich unprofessionelle Studie bis zur Veröffentlichung geschafft hat, weist auf erhebliche Mängel in der Qualitätssicherung hin.
Obwohl am Anfang versagt, hat die Fachzeitschrift aber zumindest im Nachgang vorbildlich auf die #medbikini-Proteste reagiert:
- Sie hat sich per Tweet öffentlich entschuldigt und dabei die Regeln für eine wirksame öffentliche Entschuldigung vorbildlich befolgt.
- Sie hat den Beitrag inhaltlich zurückgezogen, aber nicht gelöscht; und damit den Fehler eingestanden, ohne ihn zu vertuschen. Eine inhaltliche Diskussion über die Studie und ihre Mängel ist damit weiterhin möglich, ohne dass sie weiterhin das (unverdiente) Gütesiegel einer anerkannten wissenschaftlichen Fachpublikation trägt.
Merke: Wer auch immer sich über Ärztinnen im Bikini beschweren will, sollte bedenken, dass eines Tages sein Leben von „Dr. Bikini“ abhängen könnte. Und dann wird die Frage, ob diese Freizeitkleidung nun professionell oder unprofessionell erscheint, plötzlich nichtig und klein…
Roland Heintze
www.reputationzweinull.de
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