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Boeing in der Krisenspirale

Krisen-PR der Amerikaner wird von neuen Ereignissen laufend überholt

Als wären die Flugzeugabstürze für Boeing nicht schlimm genug. Nun beginnt sich die Krisenspirale unbarmherzig weiter zu drehen. Whistleblower, Flugaufsicht und Journalisten kommen aus den Löchern. Für Krisenkommunikatoren ist Boeing ein Musterfall, um zu sezieren, wie sich Krisen galoppierend entwickeln.

Die erste Schockwelle ist über Boeing hinweggezogen: Erst stürzte zum zweiten Mal eine 737-Max-Maschine ab. Dem folgten Berichte von Piloten, dass sich das Flugzeug nicht sichern steuern lässt. Dann wurden weltweit Flugverbote ausgesprochen. Selbst im Heimatmarkt USA. Wenn die Boeing-Krisenkommunikatoren erwartet hatten, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann, hatten sie sich geirrt.

Whistleblower verleihen der Krise gefährliche Dynamik

Das war erst die Ouvertüre. Wall Street Journal und New York Times berichten darüber, dass sich bei einer Hotline der Flugaufsichtsbehörde FAA sowie beim Transport-Komitee des amerikanischen Kongresses mehr als ein Dutzend Whistleblower gemeldet haben. Es soll sich um ehemalige und heutige Boeing-Mitarbeiter sowie um Angehörige der FAA gehandelt haben. Sie gaben ihre Hinweise zumeist anonym. Zu brisant sind ihre Informationen. Es soll neben dem Software-Problem, das zum Absturz der Flugzeuge geführt hat, vier weitere Sicherheitsprobleme geben.

Die Flugaufsicht gerät unter Druck und gibt ihn weiter

Die amerikanische Flugaufsicht soll sogar erwogen haben, einen Flugstopp für die 737-Max anzuordnen. Dass sie es nicht getan hat, erweist sich nun als schlimmer Fehler, und die Verantwortlichen müssen fürchten, sich dafür rechtfertigen zu müssen. Das treibt die FAA offensichtlich an, umso intensiver beim „wahren Schuldigen“ Boeing nach Verfehlungen zu suchen und vom eigenen Versagen abzulenken. In der Öffentlichkeit haben die Untersuchungen der FAA allerdings ein fatales Signal: Wenn die amerikanische Aufsicht bei einem der wichtigsten US-Industriekonzerne so rigoros durchgreift, muss es sich um ein sehr ensthaftes Problem handeln. So mutieren die Versager in der FAA zum Kronzeugen für das Versagen von Boeing – und fühlen sich in dieser Rolle ganz wohl.

Journalisten schüren die Krise mit Interna

Zugleich steigt der öffentliche Druck auf Boeing und FAA. So berichtet die New York Times von hunderten Seiten interner E-Mails, in denen Probleme in der Boeing-Werft in North Carolina diskutiert werden. Boeing soll nicht nur bei der 737-Max, sondern auch beim Dreamliner seine Mitarbeiter unter Zeitdruck gesetzt und Sicherheitswarnungen ignoriert haben. So habe es Batteriebrände bei dem Boeing-Flaggschiff gegeben, und es sollen fehlerhafte Teile montiert worden sein. Das alles aus rücksichtslosem kommerziellen Interesse.

Damit ist der Krisen-Cocktail hoch toxisch geworden. Der Boeing-CEO hat anlässlich der Hauptversammlung ein längeres öffentliches Statement zu den Anstrengungen des Flugzeugbauers gegeben, die Sicherheit der Flugzeuge wieder herzustellen:

Dieses Statement ist für Krisenkommunikatoren hoch interessant.

  • Der oberste Chef steigt in den Ring und demonstriert, dass das Thema allerhöchste Priorität hat. Richtig!
  • Er zeigt, dass er persönlich Verantwortung übernimmt. Richtig!
  • Er leugnet die Probleme nicht, sondern spricht sie an. Allerdings befällt dem Zuschauer das Gefühl, dass die Probleme nicht wirklich in voller Tragweite von ihm dargelegt werden. Falsch!
  • Statt dessen schildert der Boeing-CEO die Massnahmen, mit der verbesserten Software die Sicherheitsprobleme lösen zu wollen. Womit er das Minenfeld der mannigfachen weiteren Sicherheitsprobleme geradezu übersieht. Doch so dumm ist sein Publikum nicht. Falsch!
  • Konsequenzen werden nicht gezogen. Es sind hunderte Menschen gestorben, aber Boeing macht – spitz formuliert – bis auf ein Software-Update wie gewohnt weiter. Gnadenlos falsch!

Das Echo der Journalisten ist entsprechemd desaströs. So schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ unter der Überschrift „Der Boeing-Chef flüchtet sich in Worthülsen“:

„Es war ein sehr abrupter Abgang: Gerade einmal fünfzehn Minuten waren in der Pressekonferenz vergangen, die Boeing-Vorstandsvorsitzender Dennis Muilenburg am Montag nach der Aktionärsversammlung seines Unternehmens gab, da verließ er schon wieder den Raum. Die versammelten Journalisten waren verdutzt, einer rief dem Manager hinterher: ‚346 Menschen sind gestorben. Können Sie hier ein paar Fragen dazu beantworten?“‚

Boeing vermitelt den Eindruck des Durchlavierens. Das ist nicht klug. Die Krise wird noch Monate anhalten! Mit laufend neuen Hiobsbotschaften. Boeing wäre gut beraten, demonstrativ ein Krisenteam mit Topmanagementbeteiligung aufzustellen, das aufräumt, Konsequenzen zieht – und für jeden Hinweis auf etwaige Missstände dankbar ist. Und Erfolge produziert.

Boeing begeht den Fehler, weiterhin Getriebener zu sein. In der passiven Rolle ist es aber nicht möglich, die Krisenentwicklung zu steuern. Der Flugzeugbauer muss in die aktive Rolle hineinkommen und selber wieder eine Hand an das Steuer bekommen. Der Preis dafür ist hoch, denn dafür muss das Unternehmen bereit sein, seine Organisation, sein Handeln und sein Management in Frage zu stellen. Wenn es allerdings diesen Weg nicht geht, wird der Preis deutlich höher ausfallen: dramatische Marktanteilsverluste.

Jörg Forthmann

 

 

 

Jörg Forthmann
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4 Comments

  1. Soll die durchgehende Schreibweise Boing die Abstürze lautmalerisch verdeutlichen? Wenn man schon die Kommunikation bemängelt, sollte die eigene doch korrekt sein. Der Konzern heißt immer noch Boeing,

    1. Guten Tag!

      Herzlichen Dank für den Hinweis. Sehr ärgerlich. Ist bereits korrigiert.

      Beste Grüße
      Jörg Forthmann

  2. BOING!
    Bleibt zu hoffen, dass an diesem Artikel die Schreibweise des Unternehmensnamens das einzige falsche ist
    Wolfgang Boller

    1. Guten Tag!

      Herzlichen Dank für den Hinweis. Sehr ärgerlich. Ist bereits korrigiert.

      Beste Grüße
      Jörg Forthmann

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