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ebay für Firmeninterna – bieten Sie mehr?

slurSie mögen Investigativjournalismus nicht? Demnächst könnte es noch viel schlimmer werden. Dann tragen Informanten ihre Geschichten nicht mehr zu Journalisten, sondern versteigern sie online: anonymer Geheimnisverrat gegen Geld. „Ihr werdet es hassen“, kündigen die Macher des Onlineportals „Slur“ an. Hier soll ein digitaler Marktplatz für vertrauliche Informationen von Unternehmen, Regierungen und Militär entstehen, die anonym an den Höchstbietenden versteigert werden. „Slur“ wird also ein ebay für Investigativstories. „Slur“ bedient all jene, die nicht nur Rache wollen, sondern mit ihrem Wissen Geld verdienen wollen. Der einzige Trost: Die betroffenen Unternehmen können mitbieten und die rufschädigenden Informationen vom Markt wegkaufen.

Betreiber von „Slur“ ist u99, eine neunköpfige Gruppe aus Verschlüsselungsexperten. Sie wollen sicherstellen, dass Softwarelücken und Quellcodes, Kunden-Insides und Wirtschaftsgeheimnisse anonym angeboten werden können. Bezahlt wird mit Bitcoin-Transaktionen über das Tor-Netzwerk. Starten soll die Plattform im Juli 2015.

Bereits die Versteigerung gerät zum Fall für die Krisenkommunikation

Was versteigert wird, prüft „Slur“ nicht. Man stelle lediglich die Plattform zur Verfügung, um den Kontakt zwischen Whistleblower und Käufer zu vermitteln. Das hat sensible Folgen für Unternehmen, deren Interna zur Versteigerung angeboten wird: Der Verkäufer muss die Werthaltigkeit seiner Informationen unter Beweis stellen und den potenziellen Käufern erste Proben seines Wissens preis geben. Denn der Käufer erfährt erst nach der Transaktion, was er wirklich ersteigert hat und ob es den Preis wirklich wert war. So entsteht bereits aus der Versteigerung selbst ein veritables Reputationsrisiko.

„Slur“ denkt bereits darüber nach, dass sich Bietergemeinschaften finden könnten, um besonders begehrte Informationen zu erwerben. Die Plattform würde also helfen, sensible Informationen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wer will dagegen nach den Snowden-Enthüllungen etwas sagen? Damit verkleistern die „Slur“-Gründer, dass sie Erpressern Tür und Tor öffnen. So können zum Beispiel rachsüchtige Ex-Mitarbeiter ihren alten Arbeitgeber auf ihre Versteigerung auf „Slur“ aufmerksam machen und sich so den Abgang nachträglich vergolden lassen.

Kritische Frage für die Krisen-PR: Soll sich das Unternehmen erpressen lassen?

Das bringt Kommunikatoren in eine schwierige Situation: Sollen sie ihrem Unternehmen das Mitsteigern empfehlen, um die Informationen vom Markt wegzukaufen? Sich also erpressen lassen?  Wird das das Ende der Krise sein, oder ist der Erpresser raffgierig und bietet seine Informationen ein weiteres Mal zum Kauf an?

Die Gefahr von „Slur“ wird davon abhängen, welche Summen bei den Versteigerungen gezahlt werden. Je höher die Gebote, umso reizvoller der Verrat.

Bislang kämpft „Slur“ mit Detailfragen. So soll ein Schlichter Streitigkeiten klären, wenn die versteigerten Informationen die geschürten Erwartungen nicht erfüllen, doch wie sieht eine Schlichtung zwischen anonymen Verkäufern und Bietern aus? Und wie wird die Anonymität der Bitcoin-Transaktionen gewährleistet; sie lassen sich öffentlich rückverfolgen.

Jörg Forthmann

Jörg Forthmann
Posted inKrisen-PR Blog: Mediengau

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