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Krisen-PR: Deutsche Kinder sterben nicht unter Ikea-Möbeln

Wie sich die Schweden unnötig in eine PR-Krise treiben lassen

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Amerikanische Kinder müssen absolut verweichlicht sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass Ikea in den USA und Kanada Millionen von Kommoden zurückholt, die für Kinder nicht standsicher sind – in Europa aber ganz klar alle Sicherheitserfordernisse erfüllt sieht. Lesen Sie hier, wie sich die Schweden unnötig in eine transatlantische PR-Krise stürzen.

Kommoden sind für kleine Kinder nicht ungefährlich. Wenn sie sich an den Möbeln hochziehen oder die oberste, schwer beladene Schublade‎ zu weit herausziehen, fällt das Möbel um und begräbt das Kind unter sich. Seit 1989 wurden in den USA 36 Kinder von umkippenden Ikea-Schränken verletzt, sechs sind gestorben – bei 29 Millionen verkauften Kommoden der Serie „Malm“. ‎

Um die Gefahr für Kinder auf dem amerikanischen Kontinent zu bannen, bot Ikea offensiv Nachrüstsets an, um die wankelmütigen Kommoden an die Wand zu dübeln. 300.000 Sets wurden abgerufen. Doch der amerikanische Verbraucherschutz war mit dem Erfolg unzufrieden. Jetzt kommt ein gigantischer Rückruf. Amerikas Ikea-Präsident Lars Peterson wendete sich Montagabend im Fernsehen an seine Kunden und warnte vor „Malm“. Das Möbel könne für Kinder eine „Gefahr“ darstellen. Ein eigens von den Schweden produzierter Film zeigt die Gefahr nochmals eindrücklich. Die Kommoden können nun umgetauscht werden gegen Rückerstattung des vollen Kaufpreises. Oder es kommt ein Ikea-Techniker ins Haus, um die Kommoden fachgerecht an der Wand zu verankern.

„Malm“ ist auch in Deutschland erhältlich. Einen Rückruf wird es hier aber nicht geben: „Ikea-Kommoden erfüllen alle vorgeschriebenen Stabilitätskriterien auf allen Märkten, auf denen sie verkauft werden.“ Das Publikum reibt sich angesichts dieser Aussage staunend seine Augen. Wie passt der Rückruf in den USA zu dieser Erklärung? Gar nicht.

Ikea ist Opfer des amerikanischen Verbraucherschutzes geworden. Die Behörden haben den Schweden einen Rückruf abverlangt, der unangemessen ist. Im Schnitt registrierten die Behörden einen Unfall bei knapp einer Million (!) verkauften Kommoden. Der Tod von Kindern ist schlimm, aber gab es da nicht auch noch die Eltern, die die Möbel nicht sicher an der Wand befestigt haben? Ikea kann offensichtlich nicht öffentlich gegen die amtlichen Verbraucherschützer argumentieren, um nicht noch schärfer abgestraft zu werden. Aber das macht es noch lange nicht erforderlich, dass der regionale Ikea-Chef von Gefahren für Kinder im Fernsehen spricht. So facht der Möbelkonzern das Feuer an, das er eigentlich löschen will.

Falsche Reaktion in der Krisen-PR diesseits und jenseits es Atlantiks

Die offizielle Verlautbarung in Deutschland ist gleichermaßen dumm. Jeder Verbraucher merkt sofort, dass er belogen wird – weil die gegenteiligen Fakten so offensichtlich sind. Das geht so nicht und macht die Krise unnötig schlimmer. Es wäre klüger gewesen, klar zu sagen, dass Ikea seine Kommoden in den USA zurückruft, weil das vom amerikanischen Verbraucherschutz so verlangt wird und sich dem Ikea beugen muss, auch wenn man weiterhin davon überzeugt ist, dass „Malm“ sicher ist. Schließlich liegt jedem Bausatz eine Wandverankerung bei und in der Aufbauanleitung wird deutlich darauf hingewiesen, dass die Möbel an der wand befestigt werden sollten.

Parallel dazu wäre ein „weißer Ritter“ hilfreich – aus der Wissenschaft, der Politik oder dem Verbraucherschutz -, der öffentlichkeitswirksam den amerikanischen Verbraucherschutz-Irrsinn thematisiert. Nicht Ikea ist der Schuldige, sondern die amerikanische Verbraucherschutzbehörde. So würde in der hiesigen Öffentlichkeit die Feindfrage zugunsten von Ikea geklärt. Angesichts des noch irrwitzigeren Vergleichs von VW mit den US-Behörden liegt das Thema ohnehin in der Luft. Amerikaner machen Industriepolitik mit dem überzogenen Abstrafen ausländischer Konzerne. Vergleichbare Vorgänge in China erzeugen ungleich größere Aufschreie. Für VW, Ikea & Co. käme diese Diskussion gerade recht.

Jörg Forthmann

 

Jörg Forthmann
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4 Comments

    1. Hi Sperber,
      jetzt müßten nur noch Ikea & Co. Ihren Eindruck in ihrer Krisenkommunikation nutzen. Das wäre perfekt!
      Beste Grüße
      Jörg Forthmann

  1. Ich denke nicht, dass die Amerikaner spinnen – ganz abgesehen davon, dass ein derart pauschalierendes und generalisierendes Urteil ohnehin indiskutabel ist. Vielmehr sehe ich dahinter Systematik – und ganz nebenbei einen massiven Ausbruch aus dem „Nachtwächterstaat“. Interessant wäre zu wissen, ob auch amerikanische Hersteller so abgestraft werden. Aber unabhängig davon: Die Analyse der fehlerhaften Krisenkommunikation finde ich sehr gelungen. Da ich unterstelle, dass sowohl die internen, als auch ggf. externe Kommunikationsberater von Ikea dies ebenfalls erkennt haben, gilt es tiefer zu forschen. Ich vermute schlichtweg Angst vor Handelshemmnissen, wenn Ikea in der von Herrn Forthmann vorgeschlagenen Form (die ich inhaltlich voll unterstütze) agieren würde. Wie begründet diese Angst ist? Auch das wäre interessant zu erforschen. Gibt es Präzedenzfälle, in denen sich Unternehmen unsinnigen Forderungen zwar gebeugt haben, dies aber öffentlich genau so dargestellt haben? Vielleicht kennt ja ein Leser dieser Kolumne Beispiele? Oder vielleicht gibt es bei Ihnen, Herr Forthmann, entsprechende Erfahrungen? Ich würde mich freuen dazu etwas zu erfahren.

    1. Hallo Herr Wiederspahn,
      ich würde Ihnen gerne so ein Beispiel präsentieren, habe aber keins. Das mag damit zusammen hängen, dass die überbordene Härte im Abstrafen ausländischer Anbieter recht neu ist und es schlicht noch nicht so viele Opfer gibt.
      Beste Grüße
      Jörg Forthmann

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