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Krisen-PR: Dieselgate-VW zeigt den Stinkefinger

VW-Chef Herbert Diess schmeißt mit Steinen im Glashaus und kritisiert RWE für den Hambacher Forst

Dieselfahrer leiden unter Fahrverboten, Wertverlusten und Mehrkosten durch Dieselgate. Doch VW-Chef Herbert Diess präsentiert sich im Interview recht unbeeindruckt. Mehr noch: Er attackiert RWE wegen der geplanten Abholzung des Hambacher Forstes. Was hat Diess geritten und wie fangen Krisenkommunikatoren derart irrlichternde Vorstände wieder ein? Lesen Sie hier mehr.

Der Volkswagenchef, Herbert Diess, spart im Interview mit der „Südeutschen Zeitung“ mit Anteilnahme für seine durch Dieselgate geschädigten Kunden. Keine Entschuldigung, keine Anteilnahme. Ja, es gibt Umtauschprämien. Ansonsten löst sich das Problem mit den alten Dieselfahrzeugen aus Sicht von VW offensichtlich selbst:

Das bedeutet, dass sich das Problem in den Städten aufgrund der Flottenerneuerung perspektivisch erledigt. Die Diesel werden von Generation zu Generation besser.

Man braucht offensichtlich nur genug Geduld. Betroffene Dieselfahrer reiben sich bei dieser entspannten Sicht wahrscheinlich ungläubig die Augen. Doch es kommt noch schlimmer. Diess antwortet auf die Fragen der SZ-Redaktion:

Wieso geben Sie nicht jedem mit einem schlechten Diesel ein neues Auto?
Das ist doch unrealistisch. Wir könnten uns das auch nicht leisten.

Diese Antwort zeugt – aus der Sicht des breiten Publikums – von einem erstaunlichen Unrechtsbewusstsein. Da hat eine Firma milliardenschweren Schaden durch Lug und Betrug verursacht und der oberste Topmanager stellt sich hin und sagt, VW könne sich eine vollkommene Heilung dieses Unrechts nicht leisten. Übersetzt heißt das, dass jeder ohne Folgen für seine Taten davonkommt, wenn die Schäden nur hoch genug sind.

Es ist schon erstaunlich, dass nach Jahren der Krise ein VW-Manager so unreflektiert in einem Interview antwortet. Doch, und das beunruhigt noch mehr, zeigt es auch, dass die Chefetage der Wolfsburger immer noch meilenweit von den normalsterblichen Menschen auf der Straße entfernt ist.

Das zeigt sich auch im weiteren Interview:

Aber sollte nicht jeder den Dreck wegmachen, den er verursacht hat?
Wir reden hier nicht über Dreck! Wir reden über Fahrzeuge, die gesetzeskonform zugelassen sind in Europa. Leider passen aber Abgasausstoß und Immissionsgrenzwerte nicht mehr zusammen.

Hoppla, war da nicht was? Gab es da millionenfach Abschaltvorrichtungen? Wurde millionenfach manipuliert? Hat VW heute eine siebenstellige Zahl geschädigter Kunden?

Diess ist in einem Interview in einer Zwickmühle: Einerseits ist er mit öffentlichen Erwartungen konfrontiert. Andererseits werden ihm seine Juristen sehr genau vorgeben, was er sagen darf, und was nicht. Die Wahrheit derart zu verleugnen verschlimmert jedoch die Lage eher mehr als dass es hilft. Dann lieber kein Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Für die Pressestelle ist es wahrscheinlich ein Herzensanliegen, endlich wieder national positiv wahrgenommen zu werden, aber unter den aktuellen Voraussetzungen ergibt das offensichtlich keinen Sinn. Möglicherweise ist auch Herbert Diess ob seines fehlenden Unrechtbewußtseins auch der Falsche, Interviews zu geben. Auch das sollte eine Pressestelle sehen.

Als ob es nicht genüg wäre, den eigenen Kunden vor den Kopf zu stoßen, sucht sich Diess auch noch neue Feinde in anderen Großkonzernen. So sagt er zum Hambacher Forst:

Ich finde es übrigens völlig unverständlich, dass man heute auch nur daran denkt, ein Braunkohleabbaugebiet zu erweitern. Ein großes Braunkohlekraftwerk erzeugt so viele CO-Emissionen wie neun Millionen Dieselfahrzeuge.

Im Hambacher Forst gehören Ihre Sympathien also den Demonstranten?
Absolut. Ich werde da vielleicht auch hingehen. Denn was die Energiewirtschaft dort machen will, führt unsere ganze Elektrifizierungsstrategie ad absurdum! Es hat überhaupt keinen Sinn, Elektrofahrzeuge auf die Straße bringen, wenn wir gleichzeitig den Strom dafür aus Braunkohle  produzieren. Dann fahren wir mit Kohle statt Erdöl und produzieren mehr CO als heute.

Wir stellen uns gerade vor, wie Sie im Hambacher Forst im Baumhaus sitzen und Plakate malen.

Da lachen Sie jetzt, aber was da passiert, ist doch unglaublich. Wir investieren Milliarden in die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten, weil wir denken, das ist der richtige Weg. Und dann erschließen wir Kapazitäten für die mit Abstand klimaschädlichste Energieerzeugung: Braunkohle.

RWE wird bei diesen Aussagen staunen. VW hat Millionen von Fahrzeugen mit erhöhten Abgaswerten auf die Straße gebracht und ausgerechnet Diess fühlt sich nun berufen, öffentlich über den Energiekonzern zu urteilen. Es ist wahrscheinlich etwas unmodern, aber Volkswagen steht ein derartiges Urteil nicht zu. Wer selbst auf der Anklagebank sitzt, zeigt Demut und schweigt.

Aus Sicht von Krisenkommunikatoren ist in diesem Interview alles schief gegangen, was schief gehen kann. Der Öffentlichkeit und den Kunden wird fröhlich vor’s Knie getreten. Reue, Demut oder Schuld finden nur im bescheidenen Rahmen statt. Und obendrein erhebt sich der Sünder zum Richter über andere. Die Schlussfolgerung daraus lässt sich bei VW wahrscheinlich schlecht verkaufen: Verzichtet auf derartige Interviews, vor allem mit Herbert Diess. Das heißt aber umgekehrt, dass man sich einen neuen Job suchen sollte.

Jörg Forthmann

Jörg Forthmann
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