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Krisen-PR: feine Unterschiede beim Zählen der Toten

6.000 Scheintote? Wie die Automobilindustrie bei Diesel-Toten das Umweltbundesamt vorführt

Das Umweltbundesamt schockt die Nation: Dieselautos verursachen tausende Tote pro Jahr – allein in Deutschland. Die Automobilindustrie kontert. Alles Quatsch. Steht so gar nicht in der Studie. Das ist ein netter Punktsieg für die Automobilisten, rettet sie aber nicht. Lesen hier von einem Musterfall kurzsichtiger Krisen-PR.

Das Umweltbundesamt fuhr letzte Woche scharfe Geschütze gegen Diesel-PKW auf. Dieselmotoren erhöhen maßgeblich den Stickoxidgehalt in den Städten und führen damit zu tausenden vorzeitigen Todesfällen in Deutschland. Im Detail liest sich das so:

„Die NO2-Konzentrationen in der Außenluft in Deutschland führen zu erheblichen Gesundheitsbelastungen. Dies zeigt eine Studie des Umweltbundesamts (UBA). Demnach lassen sich für das Jahr 2014 statistisch etwa 6.000 vorzeitige Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf die NO2-Hintergrund-Belastung im ländlichen und städtischen Raum zurückführen. Die Studie zeigt außerdem: Die Belastung mit Stickstoffdioxid steht im Zusammenhang mit Krankheiten wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Schlaganfall, der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und Asthma.“

Und so fordert die Präsidentin des Umweltbundesamtes sogleich:

„Gerade in den verkehrsreichen Städten besteht Handlungsbedarf. Das hat das Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Selbst Fahrverbote sind als letztes Mittel demnach möglich.“

Automobilkonzerne haben damit nicht nur ihre Kunden betrogen. Sie machen sich mit den Manipulationen an Dieselautos mitschuldig an tausenden Toten in Deutschland – pro Jahr. Starker Tobac!

Tatsächlich sind die 6.000 vorzeitig Verstorbenen eine statistische Hochrechnung. So zeigt die Tabelle in der Studie des Umweltbundesamtes an, dass es sich um „attributale Todesfälle“ handelt. Das ist nicht gerade für Journalisten gemacht, die dann auch gleich von 6.000 Toten pro Jahr sprechen. Tatsächlich haben die Wissenschaftler ermittelt, wie viele Menschen – rechnerisch – weniger pro Jahr sterben würden, wenn sie nicht erhöhten Stickoxidwerten ausgesetzt wären. Das ist auch dem Umweltbundesamt offensichtlich nicht marktschreierisch genug, so dass die hauseigene Infografik zur Studie von „vorzeitigen Todesfällen“ spricht. So wird aus einer Hochrechnung ein Fakt. Böse Zeitgenossen sehen darin schlicht Fake News aus Berlin.

Die Bild-Zeitung titelte denn auch sogleich, dass es die 6.000 Toten des Umweltbundesamtes womöglich gar nicht gebe. Das riecht nach fleißiger Pressearbeit der Automobilindustrie, die wohl die Studie kritisch durchgesehen und die mutige Interpretation der staatlichen Umweltschützer aufgedeckt hat. Und so resümiert das Blatt:

„Tatsächlich kann man keinen einzigen Toten klar dem Abgas von Dieseln zuschreiben!“

Kronzeuge dieser Aussage ist Prof. Dr. Joachim Heinrich von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP):

 „Ist eine Person an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung gestorben, kann dies nicht eindeutig etwa auf eine Belastung mit Stickstoffdioxid zurückgeführt werden.“

Das wird den Autokonzernen gefallen. Leider rettet diese spitzfindige Feststellung die Konzerne nicht. Nur weil es keinen wissenschaftlichen Beweis gibt, dass Stickoxide den Menschen schädigen, ist dieser Verdacht nicht aus der Welt geschaffen. Wer mit klarem Verstand über zu hohe Abgaswerte in Städten nachdenkt, hält es für sehr plausibel, dass sie gesundheitsschädlich sind. Mit dem fehlenden Beweis des Offensichtlichen überzeugt die Autoindustrie die Öffentlichkeit nicht, und es ist schlicht kurzsichtig, so zu argumentieren. Das Einzige, was die Automanager erreicht haben, ist ein Punktsieg gegen das Umweltbundesamt, das allzu waghalsig über seine Studie kommuniziert hat.

Das hilft aber nicht, wenn man jahrelang seine Kunden belügt und betrügt, den Schaden nicht behebt, sich Schadenersatzforderungen entzieht und tatsächlich dazu beiträgt, dass die Abgaswerte in den Städten zu hoch sind. Wer so eine Krise auslöst, sollte mit Demut und Einsicht auftreten. Da hilft kein Punktsieg gegen das Umweltbundesamt. Liebe Automanager, lasst die Champagnergläser im Schrank!

Jörg Forthmann

Jörg Forthmann
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