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Krisen-PR: Wie Leica auf moralisch macht – und dann doch kneift

Kamerahersteller distanziert sich von eigenem  Werbefilm mit Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens

Was für ein Werbefilm! Leica zeigt fast dokumentarisch, wie Journalisten mit ihrer Kamera historische Tragödien fotografieren – und damit für die Weltöffentlichkeit sichtbar machen. Viel Platz nimmt in dem Film das Massaker auf dem Tiananmen-Platz 1989 ein. Doch nun heißt es, das Unternehmen habe den Film „nicht offiziell genehmigt“. Damit beschädigt Leica sich selbst.

1989 protestierten tausende Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedes in Peking. Die Staatsmacht schlug diese Proteste brutal nieder. Es soll zwischen hunderte und tausende Toten gegeben haben. Niemand weiß die wahre Zahl. Aber es gibt das hoch beeindruckende Bild eines Mannes mit Einkaufstüten, der sich heranrollenden Panzern in den Weg stellt und nicht weicht.

Die brasilianische Werbeagentur F/Nazca Saatchi & Saatchi hat nun für Leica einen fast fünfminütigen Werbefilm gedreht, in dem gezeigt wird, wie mit den Kameras des Unternehmens aus Wetzlar historische Momente festgehalten werden. Zu sehen ist ein Journalist in einem Haus in Peking, der heimlich aus dem Fenster heraus fotografiert und erkennt, dass er bald von Sicherheitskräften entdeckt wird. Schnell versteckt er den Film und gibt sich den Offiziellen gegenüber als harmloser Tourist aus. Später wird die Filmrolle über die US-amerikanische Botschaft außer Landes gebracht – und das Foto des heroischen Chinesen wird weltweit veröffentlicht.

Der Leica-Film zeigt noch andere historische Momente, die mit einer Fotokamera festgehalten werden. Doch die ausführliche und fast schon dokumentarisch nachgespielte Szene in Peking bringt die Wetzlarer nun offensichtlich in Bedrängnis. China reagiert äußerst sensibel auf Berichte zum Massaker, und Huawei ist ein großer Leica-Kunde. Nun befürchtet das Unternehmen offensichtlich Ärger mit dem chinesischen Großkunden, der sich zwar – insbesondere bei Ausschreibungen um lukrative Aufträge im 5G-Telekommunikationsnetz – unabhängig von der chinesischen Staatsmacht gibt, sich aber nun gezwungen sehen könnte, seinen Lieferanten für die Kamerakomponenten in seinen Smartphones abzustrafen.

Unnötige Krisen-PR: Leica hat die Kampagne nicht zu Ende durchdacht – und knickt ein

Leica knickt deshalb offiziell ein. Man habe den Film „nicht offiziell genehmigt“, heißt es. Außerdem entschuldige man sich für „Missverständnisse oder falsche Schlussfolgerungen“. Das Verhalten des Kameraherstellers erinnert an einen kleinen Jungen, der sich mutig einer Straßengang entgegenstellen will und im Angesicht der Muskelmänner nun doch in die Knie sinkt und ihre Schuhe blank poliert. Da hat jemand vorher nicht nachgedacht. Entweder ein Unternehmen zeigt Zivilcourage und zieht das auch durch, oder lässt es lieber ganz bleiben. Nun bleibt ein schaler Nachgeschmack, wie opportunistisch Leica ist. Und dass Leica nun doch nicht die Firma ist, die verdiente Fotojournalisten uneingeschränkt huldigt – was dem Unternehmen gut zu Gesicht stände.

Leica ist damit das zweite Unternehmen in kurzer Zeit, das mit seinem China-Geschäft ins Stolpern kommt. VW-Konzernchef Herbert Diess gab bei einem Interview in China schlicht vor, nichts von Umerziehungslagern für muslimische Uiguren in der westchinesischen Provinz Xinjiang zu wissen – also in der gleichen Region, in der VW eine Autofabrik betreibt. Das war hoch durchsichtig und peinlich für den VW-Oberen. Aber dem Riesenmarkt China zuliebe hat er die dümmliche Ausrede einer unbequemen Konfrontation mit Chinas Machthabern vorgezogen. Aus Sicht eines Krisenkommunikators war Diess schlicht schlecht vorbereitet. Es hätte deutlich klügere Antworten auf die absehbare Journalistenfrage gegeben.

Genauso wie es für Leica einen deutlich klügeren Weg gegeben hätte, den Film zu publizieren, ohne in Schwierigkeiten mit dem chinesischen Machtapparat zu kommen. Hätte nicht möglicherweise eine namhafte Vereinigung von Fotojournalisten den Film veröffentlichen können? Und Leica wäre nur mit seinem markanten Produkt, aber ohne Logo zu sehen gewesen. Das ist sicher weniger als in dem jetzigen Film, in dem am Ende der Satz erscheint

This film is dedicated to those who lend their eyes to make us see.

Gefolgt vom Leica-Logo. Das wäre nicht genauso mutig wie das aufrechte Entgegentreten gegenüber einer Straßengang. Aber wahrscheinlich hundertmal klüger als demutsvoll nun die Schuhe der Despoten polieren zu müssen. Merke: Wer sich in Konfrontation begeben will, sollte vorab die Geschichte durchdenken, oder wie es der chinesische Kriegsherr Sun Tsu sagt:

Wenn Du Deinen Feind kennst und dich selbst kennst, brauchst du das Ergebnis von 100 Schlachten nicht zu fürchten.

Man kann von China eben doch sehr viel lernen.

Jörg Forthmann

 

 

Jörg Forthmann
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