Schumacher-Unfall: vom Shitstorm gegen Die Welt lernen - Faktenkontor Schumacher-Unfall: vom Shitstorm gegen Die Welt lernen - Faktenkontor

Schumacher-Unfall: vom Shitstorm gegen Die Welt lernen

schumacherEigentlich hat Die Welt unter der Überschrift „Schumacher kann nicht ohne Risiko“ nur einen schwachen Kommentar geliefert, dass der mehrfache Weltmeister oftmals hohe Risiken eingegangen ist – bis er sich jüngst bei einem Skiunfall ein schweres Hirntrauma zuzog. Doch diese Analyse hat einen Twitter-Shitstorm gegen Die Welt ausgelöst. Krisenkommunikatoren können aus diesem Vorgang lernen: Social Media wird zum wichtigsten Kanal für Kritik an Journalisten – und können so zum Korrektiv bei unsachgemäßer Berichterstattung werden. Allein, der Umgang mit diesem Werkzeug muss gekonnt sein.

Die Welt seziert, Skifahren gehöre zu den gefährlichsten Freizeitbeschäftigungen: „Wer mit 60 oder 70 Stundenkilometern gegen einen Baum oder Felsen knallt, dem hilft kein Helm, dem hilft nur Gott.“ Hinzu kommt eine Prise überzogener Melodramatik: „Ich bin in diesen Stunden in Gedanken bei Corinna, seiner Frau, die mit den beiden Kindern an seinem Bett weint. Gezittert hat sie um ihn schon ihr halbes Leben. Jetzt lebt sie scheinbar im Paradies, gebettet in Millionen, die ihr niemals über den Schmerz und die Ohnmacht dieser Nacht helfen können. Wieder einmal betet sie um sein Leben. Diesmal halten die Ärzte das Steuer in den Händen, nicht Michael Schumacher.“ Puh! Das Echo der Community ist entsprechend:  „Wenn man nichts weiß, kann man sich die Geschichte ja noch immer herbeifantasieren“, „Wie man aus einer Tragödie ein ziemlich abstoßendes Stück Journalismus zimmert“, „Scheine offenbar nicht der Einzige zu sein, der den dämlichen Artikel der Welt zum Fremdschämen findet“ oder „Noch während jemand um sein Leben kämpft ihm Vorwürfe zu machen, gehört sich nicht“.

Redaktionen beobachten heute sehr genau, wie ihre Artikel im Internet laufen. Es werden jeden Tag „Klick-Könige“ gekürt, die Titel im Printtitel unter Berücksichtigung der Top-Ten-Aufrufe in der Online-Ausgabe ausgewählt, und Online-Kritik schlägt direkt durch – denn sie ist im Gegensatz zu einem Leserbrief öffentlich. Viel schlechte Kritik oder sogar das sorgfältige Zerlegen eines Artikels, dass es sich um massenhafte Falschberichterstattung handelt, wird redaktionsintern sensibel wahrgenommen. Dieser Mechanismus ist für Kommunikatoren in der Krise eine wichtige Option, um sich gegen meinungsmachende oder falsche Berichterstattung zu wehren. Allerdings muss zuvor die Fähigkeit aufgebaut werden, seine eigene Community zu mobilisieren. Das können Kunden, Mitarbeiter oder Nachbarn sein. Lieferanten oder Unternehmerkollegen. Entscheidend ist die Glaubhaftigkeit hinter der Bewegung. Wer dabei erwischt wird, Menschen zu instruieren, wie sie online gegen Journalisten stänkern, provoziert eine entsprechende Gegenwehr der Redaktion. Hier ist Schumacher ein Musterbeispiel: Ohne sein Zutun wehren sich seine Anhänger gegen schlechten Journalismus. Die Redaktion wird das registrieren – und eine zweite Blamage meiden.

Die Welt – sonst Vorreiter im Internet – verkündet derweil: „Dieses Thread wurde bereits geschlossen. Kommentieren ist nicht mehr möglich.“ Auf der Online-Seite der Welt ist Kritik nicht mehr gewünscht. Sie wird andere Wege finden…

Die Kommunikationswissenschaftlerin Susanne Fengler vom Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus diagnostiziert: „Social Media sind mittlerweile der relevanteste Kanal, über den Journalisten Kritik erfahren.“ Durch die Digitalisierung sind die Kosten für Protest stark gesunken. Statt Leserbriefe zu schreiben, beschweren sich die Bürger über Twitter und Facebook und vernetzen sich. Die Chancen stehen laut Fengler gut, dass die Bürger zur fünften Gewalt werden – und Medien überwachen.

Jörg Forthmann

Jörg Forthmann
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