So teuer ist schlechte Krisenprävention: 30.000.000.000 Euro - Faktenkontor So teuer ist schlechte Krisenprävention: 30.000.000.000 Euro - Faktenkontor

So teuer ist schlechte Krisenprävention: 30.000.000.000 Euro

VW Krisen-PRWas Topmanager und Krisenkommunikatoren aus dem VW-Skandal lernen können

Ein Stakkato an Schrecke‎nsmeldungen zu den manipulierten Abgastests von  Volkswagen geht durch die Medien. Und was ist von der VW-Krisenkommunikation zu hören? So gut wie nichts. Obwohl VW das Thema seit Mai 2014 kennt. Wie der Autokonzern an fehlender Krisenprävention scheitert, lesen Sie hier.

Bereits im Mai 2014 haben sich amerikanische Wissenschaftler an VW gewendet, weil ihre Abgastests dramatisch von den offiziellen Werten des Automobil‎bauers abwichen. Seitdem wurde VW mehrfach um Stellungnahme gebeten, auch von amerikanischen Behörden. Nun sollte man meinen, dass ein so langer Vorlauf genügt, um sich professionell auf dieses Krisenthema vorzubereiten. Weit gefehlt. VW wird von den Medien, Behörden, Justiz und profilierungssüchtigen Politikern getrieben.

Kardinalfehler Nummer 1: ‎zu spät reagiert, um die Anfangsdynamik zu bremsen

Die Berichterstattung zum Abgasskandal hat sich ohne wesentliches Zutun von VW ‎entwickelt. Dritte gaben die Story vor, vorne dran US-amerikanische Behörden. Ihr Trick: Die – maximale – Höhe der Strafzahlung in Milliardenhöhe ist Kern der Nachricht. Wenn eine so hohe Strafe möglich ist, muss das Vergehen wirklich schlimm sein, denkt das Publikum, und Journalisten freuen sich über die in Zahlen gemeißelte Dramatik.

Warum hat VW diesen Erstschlag der US-Behörden geschehen lassen? Warum hat der Autokonzern nicht vorher die Geschichte öffentlich gemacht‎? Die Storyline hätten lauten können: Es gab manipulierte Abgastests, VW hat hierzu bereits im Mai 2014 Hinweise erhalten (also eine alte Geschichte), umfassende Aufklärungsmaßnahmen sind jetzt abgeschlossen, VW trennt sich von führenden Mitarbeitern (prophylaktisch scharfe Konsequenzen ziehen), folgende Maßnahmen werden sofort ergriffen, damit die betroffenen Motoren kurzfristig den Anforderungen entsprechen…

„So ein Klugschwätzer“, mag man sich bei dieser Empfehlung im Wolfsburg nun denken. „Für so eine Reaktion fehlte uns die Zeit!“ Stimmt wohl, denn offensichtlich war niemand bei Volkswagen auf diese – absehbare – Krise vorbereitet. Aber VW hätte sehr gut vorbereitet sein können. Seit Mai 2014 droht die Enttarnung der Manipulation. Seitdem hat sich das Krisenrisiko schrittweise erhöht. Das ist eine Krise mit Ansage gewesen.

Was hat VW statt dessen angeboten? Man sei tief betroffen. Wolle alles wieder gut machen. Was genau passiert ‎sei, wisse man nicht. Wer dafür Verantwortung trägt, wisse man auch nicht. Ja, elf Millionen Autos sind betroffen, aber wie man jetzt den Schaden repariert, weiß man auch nicht. So lässt sich keine Krise begrenzen.

Bis heute hat die schlechte Krisenprävention 30.000.000.000 Euro an Aktienbewertung – in Worten: 30 Milliarden Euro – gekostet. Der Presseabteilung ist wahrscheinlich ‎kein Vorwurf zu machen. Wie es von außen scheint, hat es das Topmanagement nicht für nötig gehalten, die hauseigenen Kommunikatoren frühzeitig zu alarmieren und Vorbereitungen für den Krisenfall zu treffen. Anders ist die Sprachlosigkeit nicht zu erklären, denn alle erforderlichen Fakten für eine deeskalierende Krisen-PR hätte man in aller Ruhe schon vor Wochen einsammeln können. Schick wäre es zudem gewesen, schon vor Wochen‎ eine interne Untersuchung zu initiieren, damit die Pressestelle mit Inbrust sagen kann: „Eine interne Untersuchung wurde bereits im Sommer vom Vorstand angestoßen. Die Ergebnisse liegen jetzt vor. Wir ziehen unverzüglich folgende Konsequenzen aus dem Vorfall.“

Kardinalfehler Nummer 2: keine Schuldigen angeboten

‎So hätte VW auch den zweiten Fehler vermieden, keinen Schuldigen aufzubieten. Jetzt gehen Journalisten, Auto-Experten, Politik und Aufsichtsräte selber auf die Suche nach dem Schuldigen, und das ist im Zweifelsfall immer der Vorstandsvorsitzende. Martin Winterkorn hat damit von Außen eine Rolle übergestülpt bekommen, die ihn nun behindert, eine deutlich bessere Rolle zu übernehmen: die des obersten, knallharten Aufklärers.

Ganz nebenbei hätte VW auch noch eine ganz andere Geschichte‎ in Deutschland streuen können, um die heimischen Reihen zu schließen: Die US-Administration greift gerade bei ausländischen Anbietern hart durch, um die US-Wirtschaft zu stützen. Deutsche Autobauer sind bei Dieselmotoren stark, und ausgerechnet hier schlagen die Amerikaner zu. Ist das ein Zufall? Und ist es ebenfalls ein Zufall, dass die Öffentlichkeit ausgerechnet während der IAA und kurz vor Winterkorns Vertragsverlängerung im Aufsichtsrat informiert wird? Oder wurde dieser Zeitpunkt absichtlich von den Amerikanern gewählt, um maximalen Schaden auszulösen? Offiziell kann VW so etwas niemals sagen, weil das die Verhandlungen mit den US-Institutionen unnötig belasten würde – aber die Wolfsburger könnten diese Auffälligkeiten gezielt lancieren. Dann ginge es auf einmal um das Verteidigen der deutschen Autoindustrie vor den bösen Amerikanern, von denen man ja ohnehin schon weiß, dass ihnen jedes Mittel recht ist, ihre Interessen durchzusetzen. Ich finde, diese Geschichte liest sich deutlich schöner als die aktuelle Berichterstattung.

Das Frustrierende an der ganzen Geschichte für uns Krisenkommunikatoren ist:

  • 1. Das VW-Topmanagement wird trotz des irren Lehrgelds nicht dazu lernen. Das nächste Mal wird die Pressestelle wieder nicht vorbereitet sein (können).
  • 2. Auch die Vorstände und Geschäftsführer lernen nicht aus diesem Fall. Es gibt zwar allenorts Kopfschütteln, aber keine Reflexion auf das eigene Verhalten.

Oder was denken Sie? Schreiben Sie es mir!

Jörg Forthmann

P.S.: Update: Der heutige Facebook-Post von VW zeigt, wie schlecht der Konzern auf die Krise vorbereitet war. Selbst offensichtliche Fragen können immer noch nicht beantwortet werden, obwohl das Thema bereits monatelang im Konzern bekannt war:

Lasst uns eines vorweg stellen:

Das Vertrauen unserer Kunden und der Öffentlichkeit ist und bleibt unser wichtigstes Gut! Wir bedauern zutiefst, dass wir euer Vertrauen enttäuscht haben und kümmern uns schnellstmöglich um eure Belange.

Alle betroffenen Fahrzeuge sind absolut sicher und fahrbereit. Die aktuelle Thematik betrifft ausschließlich die ausgestoßenen Schadstoffe. Das werden wir beheben!

Klar ist: Wir übernehmen die volle Verantwortung und auch die Kosten für die notwendigen Maßnahmen. Klar ist aber auch, dass das Zeit brauchen wird. Zeit für die Analyse und Zeit, um technische Maßnahmen umzusetzen.

Die aktuell in der Europäischen Union angebotenen Neuwagen mit Dieselantrieb EU sechs aus dem Volkswagen Konzern erfüllen die gesetzlichen Anforderungen und Umweltnormen. Die beanstandete Software beeinflusst weder Fahrverhalten, Verbrauch noch Emissionen. Ausschließlich bei Fahrzeugen des Motortyps EA 189 wurde eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt. Volkswagen arbeitet mit Hochdruck daran, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen.

Bitte habt Verständnis dafür, dass wir aktuell noch keine weiteren detaillierten Angaben darüber machen können, welche Modelle und Baujahre genau betroffen sind. Wir werden euch so schnell wie möglich wieder informieren. Wir bei Volkswagen werden alles daran setzen, das Vertrauen, das uns so viele Menschen schenken, vollständig wiederzugewinnen und dafür alles Erforderliche tun, um Schaden abzuwenden.

Jörg Forthmann
Posted inKrisen-PR Blog: MediengauTags:

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