6 Lehren aus der desaströsen Krisen-PR der Fleischfabrik
Tönnies kommt aus den schlechten Nachrichten nicht mehr raus. Mit mehr als 700 Corona-Infizierten in der Belegschaft ist die Fleischfabrik einer der gefährlichsten Hotspots für die Epidemie geworden. Das Medienecho ist desaströs – zeigt aber auch, dass es so nicht hätte kommen müssen. Lesen Sie hier die 6 Lehren aus der Schlammschlacht im Schlachthaus.
1. Lehre: Alarmsignale übersehen
Die gefährlichsten Krisen kommen unerwartet. So gesehen hat es Tönnies noch ganz gut getroffen. Eine Reputationsanalyse des IMWF Institut für Management- und Wirtschaftsforschung zeigt, dass Tönnies bereits vier Wellen negativer Berichterstattung hinter sich hat – also hinreichend vorgewarnt war, dass eine große Corona-Infektion im Schlachtbetrieb zu massiver Negativberichterstattung führen kann.
Erst jetzt, in der fünften Welle, ist die Berichterstattung erst wirklich kritisch geworden. Vorher war die Corona-Berichterstattung zur Situation in der Fleischwirtschaft lediglich ein Kollateralschaden für den Zerlegebetrieb, denn es ging vorzugsweise um andere. Doch Tönnies wiegte sich offenbar in Sicherheit, denn die Zahl der Veröffentlichungen war in den ersten vier Wellen noch gering. Erst jetzt ist der Schlauch geplatzt.
Tönnies hat die lange Vorwarnzeit nicht genutzt – und bekommt jetzt die Quittung dafür.
2. Lehre: „Schuld sind die anderen“ funktioniert nicht
Erstaunlich ist das konsequente Leugnen jedweder Schuld durch Tönnies. So versteigt sich der Pressesprecher in die These, dass das Corona-Virus von Außen in den Betrieb hineingetragen wurde. Man könne also gar nichts dafür. Dass das Virus immer irgendwie von Außen in den Betrieb, in die Schule, in den Kindergarten oder in die Familie getragen wird – wo soll es sonst herkommen? – ignoriert der Pressesprecher. Und löst Kopfschütteln aus. Es wäre wesentlich wirkungsvoller gewesen, darüber zu berichten, welche enormen Anstrengungen Tönnies seit Wochen unternimmt, um das Hineintragen von Corana-Viren in den Betrieb mit aller Macht zu verhindern. Diese Anstrengungen mögen in der Realität arg bescheiden gewesen sein, doch es gab in den letzten Wochen vier Alarmsignale, dass ein Krisenthema auf Tönnies zurollt. Es wäre also genug Zeit gewesen, dieses Versäumnis zu beseitigen. Oft genug ist der Krisenkommunikator der Treiber für derartige Korrekturen, auch wenn das bei kritischer Betrachtung gewöhnungsbedürftig ist, denn auch ohne Angst vor einer gewaltigen Kommunikationskrise hat der Betrieb Verantwortung für seine Belegschaft. Wie auch immer die Versäumnisse betrachtet werden: Tönnies hat auf Warnsignale nicht reagiert und steht jetzt mit leeren Händen vor der Presse. Dafür hat die Öffentlichkeit kein Verständnis.
3. Lehre: Konsequenzen werden nicht gezogen
Spätestens jetzt – mitten in der Krise – müssen Konsequenzen gezogen werden. Die entscheidende Frage ist: Wer kämpft um Mitarbeiter und Kunden? Diese Frage markiert den strategischen Höhezug in der derzeitigen Tönnies-Krise. Doch der Schlachtbetrieb überlässt diese strategische Position anderen: der Politik, den Gewerkschaften, Verbraucherschützern… Jetzt wäre es wichtig, Konsequenzen zu ziehen und deutlich zu machen, dass das Unternehmen mit aller Macht um die Gesundheit der Belegschaft und um den sorgenfreien Fleischkonsum für den Verbraucher kämpft. Davon ist jedoch nichts zu spüren, und zwar gar nichts.
4. Lehre: Fakten leugnen hilft nicht
Stattdessen verlegt sich Tönnies auf das Leugnen von Fakten. So sei das Kantinen-Video, in dem Mitarbeiter dicht gedrängt in der Pause beim Essen sitzen, vor Mitte März entstanden. Das ist dumm. Denn wie es scheint, wurden Abstandsregeln in der Pause nicht eingehalten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Wahrheit aus dem Betrieb nach draußen dringt und Tönnies als Lügner dasteht. Tatsächlich hat der Tönnies-Pressesprecher mittlerweile einräumen müssen, dass der Film Anfang April gedreht wurde und der Schlachtbetrieb damit eindeutig gegen Pandemie-Vorschriften verstoßen hat. Merke: Verteidige niemals Positionen, die du nicht halten kannst. Tönnies verschleißt sich in Rückzugsgefechten.
5. Lehre: Geschlossenheit nach außen
Verschärfend kommt für den Zerlegebetrieb in der Krise hinzu, dass sich die Familienmitglieder aus dem Eigentümerkreis gegenseitig Schuld zuweisen. Damit gibt es aus dem innersten Kreis des Unternehmens Schuldzuweisungen. Für die Öffentlichkeit ist nun endgültig klar, dass Tönnies wirklich Fehler gemacht hat. Derartige Angriffe von Eigentümern und aus dem Topmanagement sind in der Krisen-PR tödlich.
6. Lehre: Sich nicht von den Medien treiben lassen
All das führt dazu, dass Tönnies keine gefestigte Verteidigungsposition hat und nun von den Medien vor sich her getrieben wird. Das führt zu schlimmen Überhöhungen in der Berichterstattung. So zitiert die Bild-Zeitung heute einen Hygiene-Experten mit der Aussage:
„Das Fleisch ist brandgefährlich“
Die Reputationsbilanz ist für Tönnies entsprechend frustrierend:
Dass Tönnies in seiner Arbeitgeber-Reputation leidet, ist nicht erstaunlich. Mit der fehlenden sozialen Verantwortung erklärt sich die tiefrote Nachhaltigkeitsreputation. Und das schlechte Echo in der Management-Performance darf man als Spiegel der Realität verstehen. Schlimm ist das Echo in der Reputationsdimension „Produkte & Services“. Hier kündigen sich schwere betriebswirtschaftliche Konsequenzen an, denn es wird eine Reihe von Tönnies-Kunden geben, die sich davor fürchten, mit dem „schlimmen Tönnies-Fleisch“ in Verbindung gebracht zu werden. Die Umsatzprognose 2020 dürfte damit in den letzten Tagen einen gehörigen Knick bekommen haben.
Das führt zur alten Erkenntnis. Krise ist teuer – vor allem, wenn man schlecht vorbereitet rein geht.
Jörg Forthmann