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Wie die EZB ihre Kritiker umarmt

Gut gemacht könnte es ein Lehrstück der Krisen-PR sein

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, richtet sich an die Bürger der Eurostaaten und bittet sie um ihre Meinung, wie die EZB-Politik sein soll. Damit fährt Lagarde eine vollkommen andere Strategie als ihre Vorgänger und holt sich das Mandat für ihre Politik von den Bürgern. Wer will dann noch etwas gegen die EZB-Politik einwenden können? Das könnte ein Lehrstück der Krisen-PR werden – wenn es bloß gut gemacht wäre.

Europaweit ruft Lagarde die Bürger auf, auf einer EZB-Webseite ihre Meinung zur EZB-Strategie zu äußern, und zu sagen, was sie von der EZB erwarten. Wow! Das gab es noch nie in der Geschichte der EZB. Bislang mussten die Bürger der Eurostaaten das Gefühl haben, dass die Notenbanker – entkoppelt von der Welt – die Geldpolitik nach ihrem eigenen Gutdünken fahren, ob sie nun richtig oder falsch, verstanden oder unverstanden ist. Doch die EZB ist massiv in die Kritik geraten, gerade in den Ländern, die den Euro wirtschaftlich am Leben halten. Aber auch bei den Mittelmeeranrainern ist die EZB nicht immer wohl gelitten, wo doch tiefe Einschnitte abverlangt wurden, um dem Euro weiter angehören zu dürfen.

Die EZB-Chefin hochpersönlich fragt die Menschen nach ihrer Meinung

Nun also erklärt Lagarde die Befragung der Bürger zur Chefsache und fordert offensiv dazu auf, der EZB die Meinung zu sagen. Das ist ein ausgesprochen kluger Schachzug in der Krisen-PR. Wenn ich massiv in der Kritik stehe, inszeniere ich einen Neuanfang und hole mir das Mandat von den Menschen: Was wollt ihr, was ich tun soll? Das wird dann sorgsam ins hauseigene Hausaufgabenheft geschrieben und abgearbeitet. Und plötzlich kann sich bitte niemand mehr beklagen. Schließlich tut man genau das, was zuvor als Mandat aufgegeben wurde. Das stände einer Deutschen Bank genauso gut zu Gesicht wie anderen großen Unternehmen, die um ihre Anerkennung durch die Gesellschaft ringen: VW, Bayer, KWS… Die Liste ist beliebig lang.

Tatsächlich scheuen die meisten Unternehmen vor einer derartigen Maßnahme zurück. Kann das gut gehen? Insofern könnte die EZB ein hervorragendes Musterbeispiel werden, wie sich Institutionen und Unternehmen das Mandat der Öffentlichkeit holen und ihre strukturelle Akzeptanzkrise lösen. Leider ist diese Strategie nicht leicht umzusetzen. Und das ist auch schon bei der EZB zu sehen: Der Aufruf, Christine Lagarde die Meinung zu sagen, war ein kurzes Strohfeuer in den Medien, flankiert durch ein bißchen Social-Media-Kommunikation, unter anderem auch auf Youtube.

Doch wehe demjenigen, der die Webseite suchen ging, auf der die Bürger ihre Meinung kundtun sollen. Nirgends ist ein Hinweis auf die Webseite – das ECB Listens Portal – zu finden. Damit fällt die Kampagne in sich zusammen, denn die Akzeptanz der Kampagne hängt daran, dass sich die Menschen wirklich gefragt fühlen. Dazu gehört

  1. von der Kampagne mehrfach gehört zu haben und sich daran zu erinnern: Fehlanzeige
  2. die Chance gehabt zu haben mitzumachen: Fehlanzeige
  3. der Glaube, dass die EZB nun wirklich auf die Menschen im Eurorauim hört: aussichtslos wegen 1. und 2.

Missglücktes Lehrstück der Krisen-PR

Gut gemeint ist leider nicht gut gemacht. Die EZB denkt im kleinen Karo und nicht in großer Kommunikation. Deshalb wird diese Kampagne kein Erfolg. Daran werden auch die Veranstaltungen in den 19 Euro-Ländern nichts ändern, die die jeweiligen Notenbanken organisieren. Wie viele Menschen werden durch diese Veranstaltungen erreicht? Ein Prozent der Bevölkerung? Das wäre schon viel. Wenn also die EZB nicht noch völlig unerwartet Gas gibt, scheitert diese sehr kluge Idee an der Umsetzung.

Und das ist wirklich schade. Das hätte ein Lehrstück der Krisen-PR werden können!

JörgForthmann

 

 

Jörg Forthmann
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4 Comments

  1. Was für ein Unsinn und was für eine Heuchelei! Haben wir jetzt in der EU plötzlich 500 Millionnen Spezialisten, die sich in der komplexen Materie der Geldpolitik auskennen? Nach allem, was man bisher von Frau Lagarde gehört hat, wird sie so oder so die ClubMed-Politik ihres Vorgängers Draghi fortsetzen, das heisst Schutz der südeuropäischen Länder, wo bei einem Zinsanstieg zahlreiche Banken hopps gingen und die bereits hohe Staatsverschuldung nochmals ansteigen würde. Draghi wird dereinst als einer der grössten Expropriateure der Sparer in die Geschichte eingehen.

    1. Hallo Herr Eberhard,
      Ihre Reaktion zeigt, wie nötig es die EZB hat, ihre strukturelle Akzeptanzkrise zu lösen. Dabei ist es aus kommunikativer Sicht nicht notwendig, dass 500 Millionen Bürger kundig in der komplexen Materia der Geldpolitik sind. Auch wenn es inhaltlich schwer verdaulich ist: Es geht allein um Akzeptanz der EZB-Politik, nict um Verständnis dessen, was entschieden wird. Das kennen wir übrigens auch von Wahlen in der Demokratie.
      Beste Grüße aus Hamburg
      Jörg Forthmann

  2. Hallo Herr Forthmann,
    ich glaube nicht, dass sich die Akzeptanzkrise durch so einen Aufruf lösen lässt. Entscheidend wird sein, was mit dem Input passiert, dass arbeiten Sie in Ihren Beiträgen ja auch oft genug heraus. Schwer vorstellbar, dass die EZB auf einmal die Null-Zins-Politik ändern wird, nur weil viele das fordern (was sie ja auch jetzt schon tun) – denn sie bewegt sich in einem Spannungsfeld, das sich durch diesen Aufruf nicht ändert.

    1. Hallo Herr Dräger,
      Sie haben den kritischen Punkt zu fassen. Insofern freunde ich mich damit an, dass die EZB wahrscheinlich kein Lehrstück liefert. Wie schade!
      Beste Grüße aus Hamburg
      Jörg Forthmann

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