Dieselgate: Ehemaliger Audi-Mitarbeiter belastet Vorstandsvorsitzenden schwer
Die eigenen Mitarbeiter sind die risikoreichsten Zeugen in einer Krise. Sie kennen pikante Details. Haben möglicherweise kompromittierende Unterlagen. Deshalb vermeiden erfahrene Krisenkommunikatoren Auseinandersetzungen mit eingeweihten Mitarbeitern vor dem Arbeitsgericht. Wie das sonst schief gehen kann, zeigt aktuell Audi.
Ein von Audi gekündigter Hauptabteilungsleiter klagt auf Weiterbeschäftigung vor dem Landesarbeitsgericht in Stuttgart. Im Schriftsatz seiner Anwälte ist Brisantes enthalten: Audi-Vorstandschef Rupert Stadler soll spätestens ab 2012 von den Dieselgate-Manipulationen gewusst haben.
Vor der amerikanischen Umweltbehörde EPA habe Stadler hingegen am 19. November 2015 behauptet, erst wenige Tage zuvor von der Betrugssoftware erfahren zu haben. Obendrein sei die Präsentation für den EPA-Termin mit Wissen von Stadler so entschärft worden, dass das wahre Ausmaß des Betrugs verschleiert worden sei.
Krisen-PR: Dieselgate-Enthüllung vor dem Arbeitsrichter
Das ist hoch unangenehm. Einerseits werden sich die Amerikaner für die Aussagen des Hauptabteilungsleiters brennend interessieren. Sie mögen es überhaupt nicht, von ertappen Betrüger nochmals betrogen worden zu sein. Andererseits ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen Audi, und da könnte es auch Stadler hochpersönlich an den Kragen gehen.
Prozesse vor dem Arbeitsgericht gehören zu den Kardinalfehlern in der Krise. Kenner intimer Details, die monate- und jahrelang geschwiegen haben, werden zu Kronzeugen, wenn sie sich von ihrem Ex-Arbeitgeber schlecht behandelt fühlen. Gerne wird die Presse vorab informiert, damit die Enthüllung bekannt wird und der Druck auf den ehemaligen Arbeitgeber steigt, eine satte Ablösung für die Kündigung zu zahlen – Schweigegeld inklusive. Auch im Fall Audi ist von den Enthüllungen zwei Tage vor Prozessbeginn zu lesen gewesen. Spannend ist bei derartigen Prozessen die Frage, ob es überhaupt noch zur Prozesseröffnung kommt, oder ob es eine eilig verhandelte außergerichtliche Einigung mit dem Hauptabteilungsleiter geben wird.
Notlösung in der Krisenkommunikation: außergerichtliche Einigung
Auch wenn der Autokonzern den Hauptabteilungsleiter zu Recht entlassen hat und es den Audi-Managern den Magen umdreht, ist eine außergerichtliche Einigung oftmals besser als das genussvolle Ausbreiten von belastendem Material gegen den Vorstandsvorsitzenden im Gerichtssaal.
Die Lehre für Topmanager ist einfach: Wer Mitwisser hat, riskiert Mitwisserschaft.
Jörg Forthmann
Update: Heute, am 22. Februar 2017, im Handelsblatt Morning Briefing zu lesen:
„Auch bei der VW-Tochter Audi ist die Welt aus den Fugen geraten. In Saal vier des Arbeitsgerichts Heilbronn ging es gestern hoch her. Der ehemalige Chef der Motorenentwicklung, Ulrich Weiß, legte ein Schriftstück vor, dessen Verlesung die Audi-Anwälte im Beisein der Medien unbedingt untersagen wollten. Doch das Gericht entschied sich für die Wahrung der Pressefreiheit. Heilbronn ist schließlich nicht Istanbul.
So erfuhr die staunende Öffentlichkeit, dass im sogenannten Audi-Produkt-Steuerungskreis bereits im April 2012 entschieden wurde, dass die Dieselfahrzeuge „dreckig weiterlaufen sollen“. Der Vorsitzende des Steuerungskreises war zu diesem Zeitpunkt Audi-Chef Rupert Stadler. Damit ist die Glaubwürdigkeit des Managers, der bisher seine Ahnungslosigkeit beteuert hatte, schwer erschüttert. Stadlers Uhr hat gestern zu ticken begonnen.“