Bio-Lebensmittel sind zum Massenprodukt geworden. Das Geschäft mit dem vermeintlich umweltverträglich hergestelltem Obst und Gemüse läuft so gut, dass Bio-Supermärkte wir Pilze aus dem Boden sprießen. Die größte Bio-Kette ist denn’s mit 130 Filialen. Die Deutschen essen mehr Bio als hiesige Landwirte liefern können. Investigativjournalisten berichten in „Die Zeit“, unter welchen menschenunwürdigen Umständen Biogemüse für denn’s in Spanien produziert wird. Das Gemüse trägt das Siegel von „Naturland“. Konfrontiert mit den Rechercheergebnissen reagiert der Bioverband ungeschickt. Ein Interesse an offensiver Aufklärung? Fehlanzeige. Glaubhafter Nachweis einer streng kontrollierten Lieferkette? Fehlanzeige. So demontiert sich Naturland selbst – und reißt denn’s in die Krise mit hinein.
Das Biogemüse für denn’s kommt unter anderem von Cuevos Bio in Andalusien, berichtet Die Zeit. „Die Landwirtschaft ist Andalusiens Haupteinnahmequelle (…). Einer der Gründe für den Erfolg sind die Zehntausende Menschen, die aus Marokko und anderen Ländern kommen und für Niedriglöhne schuften.“ Kronzeuge der Investigativjournalisten ist Oussama Assaf, Arbeiter bei Cuevos Bio. Er berichtet von Niedriglöhnen, zu kurzen Pausen, unerträglicher Hitze in den Gewächshäusern, keinen Urlaub, Saisonverträge statt Festanstellung, fortwährende Unterdrückung durch Vorgesetzte. Eine Gewerkschafterin, Mbarka El Goual Maazouzi, bestätigt die Berichte und hält sie für typisch für die wachsende Bio-Landwirtschaft in Spanien.
Dieses Strickmuster kennen erfahrenen Krisenkommunikatoren schon: Einzelne „Betroffene“ berichten authentisch von Verfehlungen. Ihre Aussagen werden durch Gewerkschaftler bestätigt – also ist die Geschichte wahr. Tatsächlich sind Gewerkschaften heute in der Pressearbeit sehr geschickt und wenden dieses Strickmuster mit großem Erfolg an, um über öffentlichen Druck den gewerkschaftlichen Organisationsgrad in den Betrieben zu erhöhen und ihre Daseinsberechtigung zu untermauern.
Amazon hat in Deutschland bereits Erfahrungen mit diesem Vorgehen gemacht und mit großem Erfolg eine Gegen-Kampagne gestartet, siehe auch den Mediengau-Bericht hierzu. Naturland als zertifizierender Bioverband argumentiert schwach: Cuevas Bio habe einen guten Ruf in der Biobranche. Eine aufgrund der Journalistenrecherche angestoßene Sonderprüfung in Spanien habe lediglich ergeben, dass einige Arbeiter „durch längere Betriebszugehörigkeit möglicherweise ein Recht auf Festanstellung erworben haben“. Systematisch sei dieses Problem jedoch nicht. Der Leser denkt: „Aha, also gibt es wirklich Defizite. Sie werden nur klein geredet.“
Naturland verlässt sich auf externe Prüfstellen, die von den Anbaubetrieben selbst beauftragt werden. Wird der Prüfer den ankreiden, der ihn bezahlt? Einmal jährlich sollen die Sozialstandards bei den Bioprüfungen mit abgefragt werden. Nur einmal im Jahr? Als Nebenergebnis der Bioprüfung? Aus Verbrauchersicht ist das zu wenig. Hier hat Naturland eine Achillesferse.
In Fällen wie diesen hilft nur eine konsequente und intensive Aufklärung. Wenn es tatsächlich Verstöße gegen die Naturland-Sozialstandards gibt, müssen harte Konsequenzen gezogen und für die recherchierenden Journalisten nachvollziehbar dargelegt werden. Anders, wenn die Sozialstandards im Wesentlichen eingehalten werden. Dann sollte das umfassend dokumentiert sein, und zwar mit zahlreichen Stimmen der Arbeiter – in Ton, Bild und Schrift. Gewerkschaften und Journalisten schwingen sich zum Retter unterdrückter Menschen auf. Das lässt sich nur durchbrechen, wenn genau diese Menschen berichten, dass sie nicht unterdrückt werden. Das hat Naturland nicht getan. Die Investigativgeschichte ist nicht ausgehebelt worden.
Diese Nachlässigkeit trifft auch denn’s. Für die Journalisten ist es wichtig, die Kette vom andalusischen Gewächshaus über den Bioverband bis zum Bio-Supermarkt aufzubauen. Nur so entsteht die Nähe zum Leser, der selber Biogemüse im Laden kauft, möglicherweise sogar bei denn’s. So entsteht Betroffenheit beim Leser, und das ist gefährlich für denn’s, denn Bio lebt vom Gutmenschentum.
Für Kampaigner der Gewerkschaften ist diese Konstellation ideal. Die Fallhöhe der Biobranche ist hoch. Wer sich selbst sakrosant gibt, darf sich selbst kleinster Vergehen nicht schuldig machen.
Jörg Forthmann