Hat die Deutsche Bank bei der jüngsten IT-Panne die volle Wahrheit gesagt? Das Handelsblatt fragt seine Leser.
Am vergangenen Freitag haben Online-Banking-Kunden der Deutschen Bank falsche Kontostände gesehen. Laut der Pressestelle war der Fehler um 12.00 Uhr behoben. Doch stimmt das? Die Handelsblatt-Redaktion fragt ihre Leser. Für Krisenkommunikatoren ist dieser Fall hoch spannend!
Unter Krisenkommunikatoren gilt die Weisheit: „In der Krise darfst du nicht lügen. Aber du musst auch nicht alles sagen.“ Und tatsächlich, in vielen Fällen geht diese Strategie auf. Das muss allerdings nicht so bleiben. Aktuell fordert das Handelsblatt online seine Leser auf:
„Sind Sie Kunde der Deutschen Bank? Beobachten Sie auch Probleme mit dem Konto? Melden Sie sich gerne per E-Mail.“
Die Aufforderung klingt harmlos, könnte aber für die Deutsche Bank böse folgen haben. Die Pressestelle ist mit klaren Aussagen an die Presse getreten, um die Negativberichterstattung in den Medien einzugrenzen:
- Es sind nur Kunden im Online-Banking betroffen – nicht alle Kunden der Bank sind betroffen.
- Es wurden am Freitagmorgen Umsätze vom Donnerstag nicht angezeigt – es geht nur um nicht angezeigte Umsätze von nur einem Tag.
- Alle fehlenden Umsätze sind bis Freitag um 12.00 Uhr wieder zu sehen gewesen – alle Schäden sind schnellstmöglich beseitigt worden.
- Wie viele Kunden betroffen waren, weiß die Pressestelle nicht – die Bank hat kein Interesse, die Tragweite der IT-Panne durch hohe Betroffenenzahlen zu untermauern.
Journalisten haben normalerweise kaum eine Chance, diese Angaben zu überprüfen. Vor allem, wenn der Bericht online geht oder am nächsten Tag in der Zeitung stehen soll. Doch diesmal hat das Handelsblatt mehr Zeit für die Recherche: Die IT-Panne wird Freitagfrüh bekannt, das nächste Handelsblatt erscheint erst Montag. Genug Zeit also, um online die Leser nach Details ihrer Erlebnisse als Online-Banking-Kunde der Deutschen Bank zu fragen. Spannend wird die Geschichte, wenn sich genug Leser mit Aussagen finden, die der offiziellen Darstellung der Deutschen Bank widersprechen. Dann kommt das Handelsblatt zwar am Montag spät mit seinem Bericht über die IT-Panne – aber mit ganz neuen Fragen zum wahren Ausmaß der IT-Panne bei Deutschlands größter Bank.
Ob die Schleppnetzmethode in diesem Fall wirklich verlässlich hilft, Kompromittierendes zu Tage zu fördern, ist zweifelhaft. Der Aufruf wird im Internet leicht übersehen und ist zu unkonkret.
Für Krisenkommunikatoren ist dieser Fall dennoch hoch spannend. Denn die Methode – ich sag nur, was mir nützt und was die Journalisten ohnehin schon wissen – könnte für Unternehmen mit vielen Kunden künftig risikoreicher werden. Der Journalistenaufruf zum Verpfeifen namhafter Konzerne ist derzeit noch ein Versuchsballon. Wenn der Versuch klappt, motiviert der Erfolg wahrscheinlich zu mehr…
Jörg Forthmann