Verkehrsminister Dobrindt weist nahezu allen deutschen Autoherstellern Abgasbetrug nach – und sie lieben ihn dafür. Insgeheim.
Nahezu alle großen deutschen Automobilhersteller haben bei den Abgaswerten betrogen. Das hat Verkehrsminister Dobrindt letzte Woche bekannt geben lassen. Wer denkt, der Minister hätte damit die Autokonzerne verärgert, der irrt. Spätestens heute müssten die überschwänglichen Dankesschreiben der Auto-Bosse beim Minister auf dem Schreibtisch landen. Lesen Sie hier, warum.
Der Abgas-Skandal betrifft nicht nur Volkswagen mit seinen Marken, sondern deutlich mehr Hersteller. Insgesamt 630.000 Autos sollen wegen „Auffälligkeiten bei der Abgasbehandlung“ zurück gerufen werden, die das Kraftfahrt-Bundesamt bemängelt. Darunter Modelle von Mercedes, Opel, Audi und Porsche sowie „leichte Nutzfahrzeuge“ von VW. 630.000 Autos entspricht der Anzahl aller Neufahrzeuge, die in zwei Monaten in Deutschland verkauft werden.
Herrliche Krisen-PR-Absprache: auf einmal ist der Rückruf „freiwillig“
Auslöser für den „freiwilligen Rückruf“ – so ist offensichtlich die Sprachregelung – sind Abgas-Nachmessungen vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), die Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) im Herbst 2015 als Reaktion auf den VW-Skandal angeordnet hatte.
Dobrindt hat der Autoindustrie mit dem erzwungenen Rückruf einen Bärendienst erwiesen. Es war nur eine Frage der Zeit bis ein Autohersteller nach dem anderen öffentlich vorgeführt wird. Nun hat der Verkehrsminister den großen Kehraus inszeniert. Und das offensichtlich in enger Abstimmung mit den Abgas-Sündern. Plötzlich stehen nahezu alle großen Hersteller im Rampenlicht, und beim Publikum verbleibt der schale Nachgeschmack, dass alle betrügen. Die einzelnen Unternehmen gehen in der Masse unter. Das ist das schöne an schlechten Nachrichten: Wenn nur genug auf einen Schlag kommen, resignieren die Bürger.
Meisterhafter Schachzug der Krisen-PR
Die Krisenkommunikatoren der Automobilindustrie haben mit diesem Schachzug ein Meisterstück geliefert. Minister Dobrindt macht sich zum nützlichen Helfer in der Not.
Doch die Kommunikationskrise ist trotz dieser taktischen Meisterleistung für die Hersteller nicht zu Ende. Anstatt in der Nachbearbeitung des Sammelrückrufs geschlossen zusammen zu stehen, kämpft jetzt wieder jeder für sich allein.
Geschlossene Front bröckelt bereits wieder
Daimler betont seine Freude, dass das Kraftfahrt-Bundesamt dem Konzern bestätigt habe, keine Schummelsoftware einzusetzen.
„Die Messergebnisse des heutigen KBA-Berichts sind aus unserer Sicht weitgehend nachvollziehbar. Wie andere Institutionen (z.B. das Department of Transport in UK) hat auch das KBA mit seinem Abschlussbericht bestätigt, dass es aufgrund der Messergebnisse keine Hinweise auf den Einsatz unzulässiger Software gibt. Abweichungen von den Grenzwerten sind – wie in anderen Untersuchungen auch – technisch plausibel erklärbar.“
Um diese Abweichungen zu reduzieren, führe die EU 2017 neue Messstandards ein. Diese würden von Mercedes-Benz „ausdrücklich begrüßt und vollumfänglich unterstützt“. Weiter heißt es, das Unternehmen investiere auch in Zukunft in den Dieselantrieb und werde eine „komplett neue Dieselmotorenfamilie“ auf den Markt bringen.
Andere berufen sich auf ein Missverständnis bei einer EU-Verordnung: Konkret beanstandet das Amt laut Zeit Online, dass in den betroffenen Autos bei bestimmten Außentemperaturen die Reinigung der Abgase zurückgefahren wird. Eine geltende EU-Verordnung erlaube zwar ein solches „Thermofenster“, um einen möglichen Motorschaden oder Unfälle abzuwenden. Die Notwendigkeit konnten die Hersteller jedoch offenbar nicht plausibel erklären, weshalb sie das Amt aufforderte, dieses Thermofenster zu beschränken. Bei BMW- und Mercedes-Modellen sollen die Systeme bei rund 10 Grad gestoppt worden sein, bei Opel bereits bei 17 Grad, was die Hersteller für zulässig halten. Daher folge nun der freiwillige Rückruf.
Die Bewährungsprobe in der Krise kommt erst noch
Mit dem geschickt eingefädelten Bekenntnis der Sünden ist es nicht getan. Die VW-Kommunikatoren sind bereits mit der Forderung konfrontiert, auch die deutschen Kunden auf dem amerikanischen Niveau zu entschädigen. Der Verbraucherschutz hat sich zum Vorkämpfer für die Rechte der betrogenen VW-Fahrer gemacht. Jetzt können die Verbraucherschützer einen Gang hoch schalten und von der Branche insgesamt faire Entschädigungen fordern – eine Rennstrecke für die Vorkämpfer der Verbraucherrechte.
Neue Mission für Super-Dobrindt
Auch in dieser Krisenphase ist Zusammenstehen Pflicht. Denn wenn ein Wettbewerb der Autokonzerne ausbricht, wer seinen Kunden welche Entschädigung anbietet, entsteht in der Öffentlichkeit ein gefährliches Rattenrennen. Das könnte eine neue Mission für Super-Dobrindt werden: nochmal eine „freiwillige Regelung“ verabreden. Diesmal für die Verbraucherentschädigung.
Die aktuellen Nachrichten – so sehr sie zu erwarten waren – führen zu schmerzlichen wirtschaftlichen Einschnitten: Am Freitag sind die Autowerte im Dax gehörig unter die Räder gekommen, berichtet n-tv. „Daimler gaben in der Spitze mehr als 7 Prozent ab. Volkswagen verloren zeitweise mehr als 5 Prozent, BMW rund 3 Prozent. Aber auch außerhalb Deutschlands sackten die Kurse von Autotiteln ab. Der Grund dafür war ein und derselbe: ‚Dieselgate‘, das bei VW in den USA seinen Anfang nahm, entwickelt sich zunehmend zu einem globalen Abgasskandal.“
Jörg Forthmann