Gebrochener Damm in Brasilien von TÜV Süd geprüft
Mehr als 80 Tote. Knapp 300 Vermisste. Vergiftete Umwelt. Milliardenverluste des Kunden an der Börse. Der TÜV Süd hat den Damm der Erzmine in Brasilien im letzten Jahr zwei Mal geprüft und für sicher befunden – nun ist er gebrochen. Warum der Konzern jetzt viel tun, aber wenig reden sollte lesen Sie hier.
Im brasilianischen Brumadinho ist der Damm einer Eisenerzmine gebrochen. Das ist der zweite Dammbruch in kurzer Zeit. Die brasilianische Regierung hatte beim letzten Mal die Minenbetreiber aufgefordert, sich um die Sicherheit ihrer Dämme zu kümmern. Deshalb war wohl auch der TÜV Süd beauftragt. In 2018 hat er zwei mal den Damm des Minenbetreibers Vale inspiziert und für sicher befunden, das letzte Mal im September. Nun ist der Damm trotzdem gebrochen – mit einer schrecklichen Bilanz (Stand 30. Januar 2019):
- 84 Tote
- 276 Vermisste
- 1,3 Milliarden Euro, die von der brasilianischen Justiz bei Vale für Rettungsarbeiten und Entschädigungszahlungen blockiert wurden
- 13 Milliarden Euro Kursverlust an der Börse für Vale
- 2 verhaftete TÜV-Süd-Ingenieure
Der Präsident des Bergbauunternehmens, Fabio Schvartsman, machte sofort die deutschen Prüfer verantwortlich. Wie wichtig die Sicherheitsbescheinigung vom TÜV Süd war, zeigt das Protokoll einer Behördensitzung, bei der noch im Dezember über eine Verlängerung der Betriebslizenz für die Mine diskutiert wurde: Vertreter der Umweltbehörde warnten dabei vor einem Dammbruch. Dem Prüfkonzern müsste die sehr kritische Beurteilung der Dammsicherheit bekannt gewesen sein.
„Statik, Bausicherheit und Risikoabschätzung sind eigentlich Königsdisziplinen der deutschen Prüferzunft, kein Nebengeschäft. Und genau da steht nun der Vorwurf der Schlamperei im Raum“, legt das Handelsblatt den Finger in die Wunde.
Für den TÜV Süd gelten jetzt die fünf goldenen Regeln in der Krisen-PR bei strafrechtlicher Verfolgung durch Behörden:
1. Regel bei drohender Strafverfolgung: keine unnötigen Aussagen zum Sachverhalt
TÜV Süd verhält sich lehrbuchmäßig in einer Krise, in der eine Strafverfolgung droht. Der Konzern hält sich mit Aussagen zum Sachverhalt extrem zurück. Das einzige offizielle Statement ist:
„Wir werden die Ermittlungen vollumfänglich unterstützen und den Ermittlungsbehörden alle benötigten Unterlagen zur Verfügung stellen.“
Dieses Statement ist in Wahrheit eine Nullnachricht, denn man darf von einem rechtschaffenden Unternehmen wohl genau das erwarten. Aber mehr werden die eilig hinzu gerufenen Strafrechtler nicht zulassen. Auch wenn es Krisenkommunikatoren weh tut. In derartigen Krisen hat der Schutz vor Strafverfolgung Vorfahrt vor der Krisenkommunikation.
2. Regel: nicht entschuldigen, aber Anteil nehmen
Trotz der restriktiven Vorgaben der Strafrechtler gibt es Möglichkeiten in der Krisenkommunikation. Denn die Menschen erwarten, dass der Prüfkonzern reagiert und Verantwortung übernimmt. Diese Erwartungshaltung kann der TÜV Süd mit Rücksicht auf die Strafverfolgung nicht voll bedienen. Aber er kann dennoch wichtige Signale senden. So ist es den Konzernlenkern untersagt, sich zu entschuldigen, denn das kann als Schuldeingeständnis vor Gericht bewertet werden. Aber das Topmanagement kann Anteil nehmen und sich empathisch zeigen. Mustergültig hat das Carsten Spohr von der Lufthansa nach dem Flugzeugabsturz in Südfrankreich gemacht.
3. Regel: agieren, nicht nur reagieren
Der TÜV Süd ist zur Zeit Getriebener der Nachrichten. Wer nur reagiert, kann die Nachrichtenlage nicht beeinflussen. Also gilt es zu agieren. Selber Nachrichten schaffen, die ein positives Licht auf die Prüfer werfen. Auch hier ist die Lufthansa vorbildlich gewesen, die sich in einem enormen Maß um die Hinterbliebenen gekümmert hat; diese Bilder gingen um die Welt. Diese Möglichkeit hat auch der TÜV Süd. Das Unternehmen kann sich um Hinterbliebene und Opfer kümmern. Kann sich um die Trinkwasser-Versorgung vor Ort und um Notunterkünfte kümmern. Kann sich um die zahlreichen Retter kümmern. Möglichkeiten gibt es zur Genüge.
Die Strafrechtler werden bei diesen Vorschlägen zucken, denn diese Hilfen könnten als Schuldeinteständnis oder konkludentes Handeln – also ein nonverbales Eingestehen der Schuld – verstanden werden. Hier sollten Kommunikatoren Rückgrat zeigen. Anteilnahme und Hilfe bei menschlichem Leid sind juristisch nicht problematisch. Aber es hilft, die Nachrichtenlage zu drehen.
4. Regel: Das deutsche Topmanagement bleibt zu Hause
Dieser Ansatz könnte zu der Idee führen, dass das Topmanagement nach Brasilien reist, um vor Ort Anteilnahme zu zeigen. Das sollte wohl überlegt sein, denn eine Verhaftung der Chefs liefert sehr unglückliche Bilder und bestärkt unnötig den Eindruck, dass sich TÜV Süd wirklich was vorzuwerfen hat.
5. Regel: Konsequenzen ziehen
Unbestritten wird wohl auch beim TÜV Süd sein, dass der Dammbruch Konsequenzen haben muss. Diese Konsequenzen sollten schnell gezogen werden. Gerne auch plakativ, zum Beispiel in Form eines 10-Punkte-Programms.
Jörg Forthmann
P.S.: Nachtrag vom 3. Februar 2019: Das Tochterunternehmen des TÜV Süd, das den in Brasilien gebrochenen Staudamm kurz zuvor geprüft hatte, legt dort andere Sicherheitsstandards an als der Mutterkonzern in Deutschland. Nach Informationen von WELT AM SONNTAG aus hochrangigen Unternehmenskreisen wird von den Auslandsgesellschaften des TÜV Süd lediglich der „marktangepasste“, also der vor Ort übliche Standard bei Prüfungen beachtet.