Wirksamer als jede Krisen-PR: Klagefristen für Kunden laufen ab
Warum kümmert sich VW nicht offensiv um die von Dieselgate geschädigten VW-Kunden in Deutschland? Ist das Schlamperei in der Kundenbetreuung? Mitnichten. Praktizierte Kundenverachtung rechnet sich – auch wenn der gute Ruf leidet. Lesen Sie hier die perfide Rechnung, die keinem überzeugten Krisenkommunikator gefallen kann.
Wenn man sich Dieselgate von Juristen erklären lässt, ist die Sache ganz einfach: Die erste Verjährungsfrist für geschädigte VW-Kunden ist bereits am 31. Dezember 2017 abgelaufen. Bis dahin konnten VW-Kunden Händler und Volkswagen wegen eines so genannten Nacherfüllungsanspruches verklagen – also auf die Lieferung eines mängelfreien Autos. Die nächste – und letzte – Frist ist nun der 31. Dezember 2018. Bis zu diesem Termin können Klagen wegen rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten von VW eingereicht werden, berichtet die Klage-Plattform myRight. Dann geht es um den bei der Abgasregulierung von Dieselautos.
Bislang haben sich erst rund 50.000 Dieselkäufer zu einer Klage aufgerafft, wobei es Plattformen wie myRight sogar sehr einfach machen, den Klageweg zu beschreiten. Betroffen von Dieselgate sind in Deutschland rund 2,5 Millionen Fahrzeuge. Bislang läuft es also gut für Volkswagen, und es ist gut möglich, dass man in der Konzernzentrale extrem gespannt auf das Jahrsende wartet. Denn weder die drohenden Wertverluste beim Verkauf eines Diesel-PKWs noch die anstehenden Fahrverbote in Städten haben die lethargische Masse der geschädigten Autofahrer in Wallungen gebracht. Mit etwas Glück wachen auch nicht mehr allzu viele Autofahrer auf, denn die Fahrverbote in den Städten kommen wohl größtenteils erst im nächsten Jahr. Dann wird der Abgasbetrug für viele Autobesitzer erst spürbar. Doch dann sind alle Ansprüche gegen VW verjährt, und der Autokonzern ist aus dem Schneider.
Warum Volkswagen nicht als Volks-Wagen auftritt
Im Lichte dieser Klagefristen wird auch verständlich, warum VW mit seinen geschädigten Kunden so stiefmütterlich umgeht. Der Konzern vermeidet es, allzu großes Aufheben um die erforderliche Nachrüstung zu machen. Es gibt keine liebevollen Briefe an Kunden. Keine Aufmerksamkeiten als Zeichen einer Entschuldigung. Schlicht: nichts. Und das ergibt Sinn. Denn der arglose VW-Kunde soll sich möglichst gar nicht mit dem Betrug beim Autokauf beschäftigen – und die Klagefristen verschlafen.
So gesehen ist es für VW allesam billiger, sich schlechte Presse wegen praktizierter Kundenverachtung einzuhandeln. Obendrein ist Deutschland – und das ist bitter für deutsche Kunden – für die Wolfsburger nicht wirklich wichtig. In Deutschland werden pro Jahr gut 1 Million VWs verkauft; in China sind es mehr als 10 Millionen. Außerdem hat Volkswagen mit seiner Modellpolitik Glück. Erfolgreiche Modelle, die jetzt gut nachgefragt werden, hat der Autobauer bereits vor vielen Jahren angestoßen. So bleibt selbst in Deutschland, wo Kunden absichtlich schlecht behandelt werden, der Absatz erfreulich.
Krisen-PR rechnet sich nicht: Reputationsschäden niedriger als Schadenersatzklage von Millionen Kunden
Überzeugten Krisenkommunikatoren tut das weh. Denn dieser Fall zeigt: Es kann sich durchaus rechnen, bei der Krisen-PR auf die Bremse zu treten.
Jörg Forthmann
Lieber Herr Forthmann,
interessanter Erklärungsansatz. Erinnern Sie sich, dass ich Ihnen vor, ich glaube, 3 Jahren bei Ihrem Seminar zur Krisenkommunikation in München etwas ganz Ähnliches prophezeit habe? 😉 Irgendwie frustrierend, dass ich Recht behalten habe …
Viele Grüße aus Köln sendet Christiane Bourquin, pr people