Antisemitismus-Vorwürfe stürzen Umweltschützer in schwere Kommunikationskrise
Fridays for Future positioniert sich im Krieg zwischen Israel und der Hamas auf Seiten Palästinas und blendet die Greueltaten aus, mit denen die Hamas die Auseinandersetzungen begonnen hat. Das führt – in Deutschland – zu schweren Antisemitismus-Vorwürfen. Was kann Fridays for Future nun noch tun, um die Situation zu retten? Und was können internationale Unternehmen aus diesem Fall lernen?
Fridays for Future solidarisiert sich mit Palästina und Gaza – ohne die barbarischen Taten der Hamas an Israelis zu verurteilen. So postet die Umweltschutzorganisation:
„Heute streiken wir in Solidarität mit Palästina und Gaza. Die Welt muss ihre Stimme erheben und einen sofortigen Waffenstillstand, Gerechtigkeit und Freiheit für die Palästinenser und alle betroffenen Zivilisten fordern.“
Diese Einseitigkeit führt zu einer Antisemitismus-Debatte mit extrem hoher Reichweite, sehr negativer Tonalität und hoher Emotionalität in Deutschland – dieses Trio an Kennziffern nenne ich gerne die „Apokalyptischen drei Reiter“, denn sie markieren die schwerste Krise, die eine Organisation haben kann: große, emotional aufgeladene Diskussion, in der Sachargumente nicht mehr greifen. Dementsprechend schwer tut sich die deutsche Sektion von Fridays for Future, mit der Situation umzugehen. Zumal Greta Thunberg – die Gallionsfigur der NGO – ganz vorne im Kampf für Palästina vorweg geht.
Kommunikationskrise entsteht durch einseitige Positionierung
Mit Abstand analysiert haben wir heute eine zweigeteilte Welt: Die eine Seite sieht und verurteilt Greueltaten der Hamas. Die andere Seite sieht und verurteilt Greueltaten der Israelis. Für Kommunikatoren bei Fridays for Future wäre es ein Leichtes gewesen, sich klug in der öffentlichen Diskussion zu positionieren, denn ihre Unterstützer sitzen vorwiegend in der westlichen und damit Israel-freundlichen Welt. Unabhängig von derart pragmatischen Überlegungen steht es jeder NGO natürlich frei, sich einseitig zu Lasten Israels zu positionieren. Allerdings ist das unklug, denn Umweltschutzorganisationen sind in ihrem Kampf in der David-Rolle, und sie kämpfen gegen den Goliath – die böse Politik und böse Konzerne. Die David-Rolle funktioniert aber nur, wenn vollkommen klar ist, dass David für das Gute kämpft und moralisch vollkommen frei von Zweifeln ist. Sobald diese Bedingung nicht mehr erfüllt ist, erodiert das Fundament einer NGO. Und genau das ist mit Fridays for Future in Deutschland passiert.
Die deutsche Sektion tut sich wahnsinnig schwer, mit dieser Situation umzugehen, denn das Abgrenzen gegen Antisemitismus heißt gleichzeitig, sich von der Gallionsfigur Greta Thunberg zu distanzieren. Das ist schwer vorstellbar.
Neutrale Positionierung kann ein Ausweg sein
Kommunikatorinnen und Kommunikatoren aus internationalen Konzernen können sich wahrscheinlich gut in die Situation von Fridays for Future hineinversetzen, denn sie haben typischerweise Geschäftsverbindungen in alle Teile der Welt und können es sich kaum erlauben, sich eindeutig zu Gunsten von Israel oder Hamas zu positionieren. Hier sieht man oftmals die Lösung in einer neutralen Positionierung: Es wird gefordert, Wege zu suchen, um die kriegerischen Handlungen und das Leid in der Zivilbevölkerung zu beenden. Diese salomonische Formel wäre auch für Fridays for Future tragbar gewesen.
Diese Überlegungen führen zu einer harten Frage: Haben wir nicht die moralische Verpflichtung, uns klar zu positionieren und für unsere Werte einzustehen? Weltweit. Ohne Rücksicht auf geschäftliche Interessen. Diese Debatte führt zu sehr weitreichenden Konsequenzen und mitunter zu schwer abwägbaren Folgen. Die westliche Welt müsste viele wirtschaftliche Verbindungen in der globalen Wirtschaft kappen. Das würde zu sehr großen Schäden und zur Verarmung von Menschen führen, auch in der westlichen Welt. Strenge Moralisten würden hier wahrscheinlich sagen, dass das ein Preis sei, den wir dann eben zahlen müssen. Gleichzeitig würden wir jedoch auch positive Veränderungen in aufsteigenden Wirtschaftsregionen abbinden, die zu besseren Lebensbedingungen führen. In diesem Spannungsfeld müssen Unternehmen, Institutionen und Organisationen ihren Weg finden. Regulatorische Vorschriften lösen einen Teil der Fragen, der andere Teil ist eine schwierige Abwägungsfrage, die sich zum Teil dadurch lösen lässt, dass moralisch fragwürdige Geschäfte getätigt werden, aber in einer verantwortungsvollen Form, die den Menschen in den Regionen mehr hilft als schadet.
Jörg Forthmann