Es ist ein wenig so wie mit Jogginghose einkaufen zu gehen. Eigentlich interessiert es niemanden und fällt auch nicht besonders auf – man macht es trotzdem nicht. Nicht einmal im Urlaub, wo einen keiner kennt. Genauso wenig, wie allzu Privates ungeschönt ohne Instagram-Filter nach außen zu tragen, wollen die Verbraucher fremden Leuten Einblick gewähren, auch wenn es noch so viel Mehrwert bereitet. Die Rede ist von Videochat im Kundenservice, der eigentlich die optimale Verbindung aus orts- und zeitunabhängiger Digitalkommunikation und persönlicher Beratung sein soll. Wie eine neue Studie zeigt, sind daran aber nur sieben Prozent der Verbraucher interessiert. Junge Zielgruppen steuern besonders gern Filialen an.
Die Studie „Mediennutzungsverhalten im Kundenservice 2015“ von NICE Systems, einem Anbieter von Call-Center-IT, offenbart: Nur sieben Prozent der Verbraucher würden gern über Videochat Kontakt zu einem Servicemitarbeiter aufnehmen, wenn sie ein Anliegen haben, das sich über Informationen auf der Anbieterwebsite nicht klären lässt. Trotz Medienbruch bevorzugen mit 39 Prozent die meisten den Anruf bei der Service-Hotline. 26 Prozent sind bereit, am Bildschirm einen Live-Chat mit einem Service-Mitarbeiter zu beginnen – OHNE Videobild. Elf Prozent fordern einen Rückruf an. Die Verbraucher würden mit neun Prozent sogar lieber mit einem virtuellen Assistenten chatten als mit einem echten Menschen per Video. Der Grund: Sie können die Kommunikation besser steuern und niemand wirft einen Blick auf sie und ihre Umgebung. Unternehmen sollten Videochat-Lösungen vor diesem Hintergrund nicht als Allheilmittel betrachten und alle Investments in diesen Kanal stecken. Solche Lösungen können praktisch sein z.B. für Legitimationsverfahren – sind aber nicht der Kanal erster Wahl, wenn es um Servicefragen geht.
Junge Verbraucher lieben Filialen
Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie: Junge Verbraucher im Alter von 18 bis 30 Jahren treten überdurchschnittlich häufig den Gang in die Filiale an. Während über alle Altersgruppen nur 65 Prozent Filialen bei Servicefragen in Anspruch nehmen, sind es bei den Digital Natives 73 Prozent. Damit werden Filialen in dieser Zielgruppe nicht viel weniger genutzt als Infocenter auf den Anbieterwebsites (87 Prozent) und Service-Hotlines (83 Prozent). Anbieter sollten sich also gut überlegen, ob sie ihr Filialnetz aufgeben.
Service über Social Media wird als unbefriedigend erlebt
Gefragt nach dem Erfolg bei der Klärung ihres Anliegens und ihrer Zufriedenheit mit dem Gesamtergebnis, unterscheiden sich die Antworten in Bezug auf die Kanäle ebenfalls deutlich. Während Telelefon-Service, der Filialbesuch und Website-Services von der Mehrheit der Kunden als befriedigend erlebt werden, fallen digitale Kanäle stark ab. Ganz hinten liegen soziale Medien und von Unternehmen gesponserte Online-Communities. Fazit: Wenn Online-Kanäle für Services angeboten werden, muss hier höchstes Augenmerk auf ein zufriedenstellendes Erlebnis für die Kunden und größtmöglichen Nutzen gelegt werden.
Bei jeder Studie sollte man sich Basis, Methode und Erhebungszeitraum anschauen. Ein prüfender Blick offenbart: Die NICE Studie „Mediennutzungsverhalten im Kundenservice 2015“ basiert auf einer Online-Befragung von 1206 Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren aus den USA, Großbritannien und Australien im Juni und Juli 2013. Warum die Studienautoren so lange für die Auswertung gebraucht haben, ist nicht bekannt. Dennoch zeigen die Ergebnisse interessante Trends auch für den Kundenservice im deutschen Markt auf.
Von Juliana Hartwig