Drogeriekönig Erwin Müller wird die morgendliche Zeitungslektüre heute die Laune gehörig verdorben haben. Das Handelsblatt titelt: „Erwin Müller und ein doppeltes Spiel“. Der Chef der Drogeriemärkte Müller hatte mit großem Medientrubel die Bank Sarasin und seine Berater verklagt, weil sie ihn ohne sein Wissen in dubiose Anlagen mit Steueroptimierung hineingezogen hätten. 25 Millionen habe er aus eigenem Vermögen investiert sowie weitere 25 Millionen, für die er extra einen Kredit aufgenommen habe. Nun, so berichtet das Handelsblatt, sei ein Gutachten eines Fachanwalts für Steuerrecht aufgetaucht, das Müller weit vor dem Sarasin-Geschäft zu einer vergleichbaren Geldanlage beauftragt habe. Er habe also doch das Geschäft voll durchschaut und nicht unwissentlich über den Tisch gezogen worden. Damit wird die Müller-Sarasin-Affäre zu einem Musterbeispiel für zwei Überlebensregeln in der Krise:
1. Kenne Deinen Gegner – nur dann kannst Du ihn wirksam bekämpfen.
2. Verbünde Dich mit den Journalisten, die zuvor geleimt wurden.
Wer auch immer das Gutachten des Steuerrechtlers ausgegraben hat, versteht sein Handwerk. Durch die neue Faktenlage wurde der Spieß in der Öffentlichkeit umgedreht: Nicht die Bank Sarasins und die Finanzberater sind die bösen Buben, sondern der Milliardär Müller, der die Staatsanwaltschaft einschaltet, um seine Verluste einzuklagen – wider besseren Wissens. In vielen Krisenfällen ist eine intensive Aufklärung des Sachverhalts sehr hilfreich, um schlagkräftige Gegenargumente an die Hand zu bekommen. In dieser Situation ähnelt die Arbeit eines Krisenkommunikators der eines Privatdetektivs. Gute Berater zeichnen sich in der Krisen-PR deshalb nicht nur durch exzellentes Kommunikationshandwerk, sondern auch durch den Zugriff auf leistungsfähige Researchspezialisten aus.
Dass Müller nicht so ahnungslos 50 Millionen Euro in Steuersparmodelle investierte, liegt nahe. Wikipedia beschreibt ihn als „Workaholic, der sich selber gerne um Details kümmert“. „(…) Erwin Müller vertraut nur sich selbst. Den Banken kehrte er schon früh den Rücken, nachdem diese ihm vor Jahren nicht aus der Patsche halfen, als einer seiner Läden abbrannte. Heute gehören ihm deswegen die meisten Filialen seiner Müller-Drogerien samt Gebäude und Grundstück selbst. Auf Kredite scheint der Firmenpatriarch nichts zu geben. (…) ‚Arbeiten, arbeiten, arbeiten‘, so erklärt Müller seinen Erfolg. Der Rest sei Betriebsgeheimnis.“, portraitiert ihn n-tv.
Möglicherweise hat Müller das verpatzte Sarasin-Geschäft so in Rage gebracht, dass er nicht nur seine Juristen auf die Bank Sarasin gehetzt hat, sondern auch die Journalisten. Seine Klage gegen Bank und Finanzberater lief breit durch die Medien und wird bei den Beklagten erhebliche Schmerzen ausgelöst haben. Der Medienerfolg war jedoch ein Pyrrhussieg; Journalisten mögen es nicht, wenn Sie auf’s Kreuz gelegt werden. Aus dem Handelsblatt ist nicht ersichtlich, wer dem Chef-Investigativjournalisten Sönke Iwersen die Unterlagen zugespielt hat. Den ehemaligen Geschäftspartnern des Drogeriekönigs spielen die Veröffentlichungen auf jeden Fall in die Hände. Die Staatsanwaltschaft, so wird berichtet, könnte an einem „neuen Gespräch mit dem Zeugen Müller“ interessiert sein.
Der Fall Müller ist ein hübsches Lehrstück über die hohe Schule der Krisenkommunikation. Chapeau.
Jörg Forthmann