Reputationsbilanz der virtuellen Hauptversammlung
Die Reputationsbilanz von Mercedes zu seiner virtuellen Hauptversammlung am vergangenen Freitag ist enttäuschend. Obwohl Mercedes-Chef Ola Källenius einen Rekordgewinn geliefert hat. Lesen Sie hier, warum das so ist – und was das für andere Großunternehmen zu bedeuten hat.
Källenius hatte allen Grund, mit Stolz geschwellter Brust vor seine Aktionäre zu treten: Mercedes hat einen Rekordgewinn von 23,4 Milliarden Euro eingefahren. Chapeau! Dennoch ist das Echo auf die Wirtschaftlichkeit des Autokonzerns negativ. Wesentlich hierfür ist eine Warnung des Topmanagers vor einem Gaslieferstopp in Folge des Ukraine-Kriegs, den auch Mercedes zu spüren bekäme. Deutlich einschneidender waren jedoch kritische Stimmen aus dem Aktionärskreis zur Nachhaltigkeit. Fondsmanager von Deka & Co. mahnten an, dass der Luxusautohersteller auf Sicht ein Problem mit seinem unzureichenden Umweltschutz bekommt.
In China und in den USA hat Mercedes die Flottenverbrauchsziele gerissen und musste Verschmutzungsrechte erwerben, um Strafzahlungen zu vermeiden.
„Das darf nicht zum Dauerzustand werden, sonst kostet es nicht nur viel Geld, sondern auch Glaubwürdigkeit und Reputation in den wichtigsten Märkten der Welt“, zitiert das Handelsblatt den ESG-Experten Janne Werning von der Union Investmet. „Die hohe Nachfrage nach PS-Boliden darf für Mercedes nicht im Imagedesaster enden“, sagte Deka-Fondsmanager Ingo Speich von der Deka.
Kommunikatoren horchen bei diesen Aussagen auf: Die Kapitalgeber mahnen an, dass es keine Reputations- und Imageeintrübungen wegen fehlender Nachhaltigkeit geben darf. Sonst wird das Unternehmen an der Börse abgestraft. In der Reputationsanalyse zur Hauptversammlung ist die Nachhaltigkeitskritik bereits deutlich zu sehen. Källenius gibt sich sogleich einsichtig und beteuert, dass der DAX-Riese innerhalb von zwei Jahrzehnten klimaneutral werden wolle – also bis zum Jahr 2042. „Bis 2030 wollen wir die Hälfte des Weges erreicht haben.“
Mercedes steht damit vor der Herausforderung, eine Transformation in der Produktpalette mit einer klugen Nachhaltigkeitskommunikation zu verbinden, die den Fokus weniger auf die Vergangenheit als auf die abgasfreie Zukunft lenkt. Bislang ist das nicht gelungen, weil sich die größten Umweltsünder unter den Mercedes-Modellen am teuersten verkaufen lassen. Der Rekordgewinn ist damit gewissermaßen mit einer schlechten Nachhaltigkeitsreputation erkauft. Das lassen die institutionellen Anleger nicht mehr lange durchgehen.
Jörg Forthmann