Telekom zeigt(e): Auch Große können Twitter
Heute melde ich mich aus aktuellem Anlass mal wieder „zwischendurch“: Vergangene Woche habe ich hier gezeigt, wie kleine Unternehmen manchmal erfolgreicher twittern als manche Großkonzerne. Das warf die Frage auf, ob große Unternehmen vielleicht grundsätzlich unfähig sind, gute Social Media Arbeit zu leisten.
Sind sie nicht. Zum Beweis bringe ich deswegen heute als positives Gegenbeispiel noch mal einen Artikel, in dem wir im vergangenen Sommer im Faktzweinull-Vorgänger www.thinktank-pr.de einen besonders vorbildlichen Social-Media-Einsatz eines Großunternehmens behandelt haben – den Web-2.0-Kundenservice der Telekom.
Übrigens: Der Twitter-Kanal @Telekom_hilft erreicht aktuell stolze 1,8 Deck (1 Deck = aktuelle Follower-Anzahl von @malerdeck).
Telekom: Manchmal, aber nur manchmal, haben Kunden ein kleines bisschen Pöbeln gern
Ein Kunde beschwert sich in sehr unflätigem Ton bei der Telekom – und der Kundenservice des Kommunikationsriesen pöbelt zurück. Heftig, öffentlich, auf Twitter. Ist der zwitschernden Mitarbeiterin Anna die Hutschnur geplatzt? Hat die Kommunikationskontrolle der Telekom versagt, wenn eine Kundenberaterin vor aller Welt im Namen ihrer Firma einen Kunden beleidigen und anfluchen kann? Nein, im Gegenteil – Anna und die Telekom beweisen damit, dass sie ihre Kunden verstehen. Und dass der ehemalige Staatsbetrieb eine Unternehmenskultur entwickelt hat, von der sich andere Großunternehmen eine Scheibe abschneiden können. Telekom-Sprecher Husam Azrak erläutert die Hintergründe im ThinkTankPR-Interview.
Es fing an mit einem Tweet an „Telekom-hilft“, dem offiziellen Online-Kundenservice der Deutschen Telekom:
Es scheint, als beschwere sich ein ungehaltener und vollends entnervter Kunde über die Drosselungs-Politik der Telekom und zu dem Zeitpunkt tatsächliche vorhandene Probleme bei der Volumen-Anrechnung eines speziellen gemeinsamen und nicht unumstrittenen Angebots der Telekom und des Musik-Streaming-Dienstes Spotify. Ein gerade im Zuge der aktuellen Diskussion um die Netzneutralität unternehmenskommunikatorisch heikles Thema. Telekom-hilft Mitarbeiterin Anna, Kürzel ^an, nimmt sich der Sache an – und schnauzt und pöbelt dabei heftig in Richtung Kunde. Twitter-Nutzer weltweit können die Auseinandersetzung mitverfolgen:
Verliert hier eine Kundendienstmitarbeiterin die Nerven? Überschreitet sie ihre Kompetenz, wenn sie einen Kunden derart unflätig im Namen eines Weltkonzerns öffentlich anfährt? Nein, wie Husam Azrak, Pressesprecher der Deutschen Telekom AG, erläutert: „Anna hat sofort erkannt, dass sich hier nicht jemand meldet, der Herr Müller oder Meier heißt, sondern jemand, der sich Griesgrämer nennt.“ Der Griesgrämer ist eine satirische Kunstfigur, bei der der Name Programm und die für ihre Pöbeleien im Netz bekannt ist – und auch Anna war der Griesgrämer bereits bekannt. Deswegen kam sie auf die Idee, dem Griesgrämer auf Augenhöhe zu begegnen und die Satire mit Satire zu beantworten.
Einfach so auf eigene Faust zurückpöbeln geht natürlich auch bei der Telekom nicht – aber die Entscheidungswege sind heutzutage kurz und schnell. „Wir haben hier grundsätzlich ein Vier-Augen-Prinzip. Auch bei normalen Tweets schaut vor dem Abschicken ein Kollege drauf, auch um zu überprüfen, ob die auf 140 Zeichen beschränkte Antwort verständlich ist“, so Azrak. In schwierigen Fällen guckt der Abteilungsleiter drauf – und der hat im Fall Griesgrämer Annas Vorschlag innerhalb weniger Minuten genehmigt. Weitere Freigaben aus höheren Ebenen waren nicht nötig. Anders wäre eine Kundenberatung per Twitter auch nicht adäquat umzusetzen, meint Telekom-Sprecher Husam Azrak: „Es ist wichtig, den Kundenberatern Entscheidungskompetenzen und Freiräume einzuräumen, nur dann geht es schnell genug. Wir haben hier allgemein sehr flache Hierarchien, und bei sparsamen Hierarchien übernimmt jeder Mitarbeiter automatisch mehr Verantwortung, und handelt dann auch verantwortungsbewusst.“
Kundenberaterin Anna pöbelte erfolgreich im Namen der Telekom. Hier erzählt sie selbst von ihrem Schlagabtausch mit dem Griesgrämer. Achtung: Das Video leidet am VVS.
Foto © Telekom
Natürlich sah das Telekom-hilft Team die Gefahr, dass manchem Mitleser der Humor entgehen könnte, aber es ging das Risiko ein – und erntet dafür jede Mange Lob im Netz. Auch Presseprecher Azrak spart nicht damit: „Damit Satire funktioniert, darf man nicht zu sehr überzeichnen, sonst wird es missverständlich. Anna und dem Team ist das sehr gut gelungen.“ Azrak betont aber auch, dass ein echtes Kundengespräch anders ausgesehen hätte: „Reguläre Anfragen auch in diesem Ton hätten wir nie so beantwortet. Beim Service geht es darum, den Kunden ernst zu nehmen, zu verstehen, was er will, und eine Lösung anzubieten. Aber was der Kunde Griesgrämer wollte, war Satire – und die hat er bekommen. So haben wir bewiesen: Unser Kundenservice versteht seine Kunden – und die Zeiten, wo Arbeit Spaß machen darf, sind längst bei der Telekom eingezogen.“
Die große und geradezu enthusiastisch-positive Resonanz in den Medien könnte natürlich dazu verführen, derartige „Spaß-Konflikte“ zukünftig gezielt zu faken. Dem Erteilt Husam Azrak eine klare Absage: „Das würde nicht funktionieren. Sowohl im Kundenservice als auch in der Pressearbeit darf man nicht lügen, und das wäre eine Lüge. Das wäre schlecht für beide Bereiche.“
Eine spezielle PR-Ausbildung haben die Telekom-hilft Mitarbeiter, die sich im Namen des Konzerns auf Twitter und Facebook öffentlich äußern dürfen, nicht – sie sind ausgebildete Kundeberater, genau wie diejenigen, die sich per Telefon, Mail und Brief um Kundenanfragen kümmern. Wie von Experten empfohlen, gibt es bei der Telekom aber allgemeine Verhaltensrichtlinien für die Sozialen Medien, die für alle Mitarbeiter des Konzerns bindend sind. „Dazu gehört unter anderem, dass wir, wenn wir uns in den Sozialen Medien zu Telekom-Themen äußern, uns namentlich und als Mitarbeiter der Telekom zu erkennen geben, und die Form wahren, das heißt Wertschätzung, Integrität und Höflichkeit zeigen“, erklärt Husam Azrak.
Husam Azrak, Pressesprecher Deutsche Telekom AG: „Die Kultur bei Twitter ist eine andere als im Briefverkehr.“
Foto © Telekom
Natürlich bestehen gewisse Gefahren, den mitunter durchaus auch ernsthaft konfliktbeladenen Bereich Kundenservice über so öffentliche Kanäle wie Twitter und Facebook laufen zu lassen. Aber der Nutzen überwiegt nach Ansicht der Telekom: „Es wäre eine vertane Chance, wenn wir nicht da sind, wo unsere Kunden sind. Eine Chance für Präsenz und Vertrauen“, so Husam Azrak. „Wenn wir unseren Kunden nicht über die Sozialen Medien helfen, tut das jemand anderes – und das ist nicht unser Verständnis von Kundenservice.“
Das spiegelt sich auch in der Entstehung von Telekom-hilft wieder: Die offizielle Telekom-Online-Hilfe geht auf eine Initiative von netz-affinen Mitarbeitern zurück. Diese sind in Blogs und Foren auf an die Allgemeinheit gerichtete Fragen und Probleme zu Telekom-Produkten und Dienstleistungen gestoßen, und hatten zunächst privat darauf geantwortet. Sie erkannten den Bedarf, und schlugen der Telekom vor, ein offizielles Team einzurichten, das Kundenservice über die sozialen Medien anbietet. „Richtige Widerstände dagegen gab es bei uns nicht“, so Husam Azrak, „eher ein paar Fragezeichen. Aber nachdem die Kollegen die Reaktionen auf ihre privaten Postings gezeigt hatten, haben wir das schnell umgesetzt.“ 2010 startete so der Telekom-hilft Twitterkanal mit einem kleinen Team aus in den Sozialen Medien erfahrenen Mitarbeitern. „Hier sprechen wir die Kunden so an, wie sie es erwarten. Die Kultur bei Twitter ist eine andere als im Briefverkehr“, so Husam Azrak.