Wie Gorilla Glue via Social-Media einen Shitstorm und eine Schlammschlacht ausbremst
Ich wollte es erst nicht glauben, wie ein banales Missgeschick zum Best Practice für gutes Reputationsmanagement mit vielen Tipps für die Praxis werden kann, aber schauen Sie selbst: Vielleicht haben Sie online kürzlich folgende Geschichte gelesen: Eine Frau aus Louisiana hat eine Sprühdose Holzleim als Haarspray-Ersatz benutzt, und konnte ihn nicht mehr herauswaschen. Sie drohte, den Hersteller zu verklagen. Der tweetete daraufhin:
„Wir hätten nicht gedacht, dass wir das jemals sagen müssten, aber verwendet unsere Produkte nicht an euren verf*ckten Haaren.“
Versagt das Unternehmen hier auffällig in Social-Media-Kommunikation und Reputationsmanagement, weil die Frau es für ihren eigenen Fehler verantwortlich macht? Scheint so – doch dieser Schein trügt. In doppelter Hinsicht. Tatsächlich vermeidet die Firma eine Eskalation, statt auf einen Köder anzuspringen, und kommt sogar mit einem Reputations-Plus aus der Geschichte heraus. Ebenso die Betroffene selbst – und oben drein ein Schönheitschirurg aus Beverly Hills.
Denn obwohl alle drei eingangs erwähnten Aussagen berichtet wurden, ist nur eine davon wahr. Tessica Brown hat sich tatsächlich „Gorilla Glue“ in die Haare gesprüht. Ihre Frisur verwandelte sich in einen steinharten, unbeweglichen Helm. Wochenlang fand Brown keinen Weg, den wasserfesten Hochleistungs-Kleber wieder loszuwerden. Schließlich machte sie ihre missliche Lage am 3. Februar in einem TikTok-Video öffentlich. In der Hoffnung, unter ihren Web-Bekanntschaften wüsste jemand vielleicht eine Lösung für ihr Problem.
Der Clip ging viral, fand ein breites Echo sowohl in Sozialen als auch redaktionellen Medien. Dabei vermischten sich in Höchstgeschwindigkeit Dichtung und Wahrheit. Hinzugedichtet ist zum Beispiel die Klageandrohung. Tessica Brown macht der Gorilla Glue Company keinerlei Vorwürfe, und versuchte auch nicht, sie vor Gericht zu ziehen.
Auch die Gorilla Glue Company reagierte im Social Web weder hämisch noch beleidigend auf Browns Missgeschick oder die ausgeschmückten Berichte darüber. Denn den oben zitierten Tweet – und unzählige weitere – haben vermeintliche Witzbolde gefälscht.
Zum Glück ist keine der beiden Seiten auf die von zündelnden Dritten entfachten Störfeuer eingestiegen. Eine öffentliche, feindselige Kurzschlussreaktion hätte blitzschnell in ein Kommunikationsdesaster führen können.
Tatsächlich reagierte Gorilla Glue zeitnah und traf in Inhalt wie in Haltung den richtigen Ton. Das Familienunternehmen aus Ohio versuchte bereits am Tag nach ihrem TikTok-Auftritt, Tessica Brown über Social Media zu erreichen. Etwas schwierig, da plötzlich jede Menge Fake-Accounts in den Sozialen Netzwerken aufploppten, die sich fälschlicherweise als Gorilla Glue Company oder Gorilla Glue Girl ausgaben. Der (zwischenzeitlich gesperrte) Twitter-Account, auf den das echte Unternehmen hier antwortet, gehörte zum Beispiel nicht Tessica Brown:
Hi there, we are sorry to learn about your experience! We do not recommend using our products in hair as they are considered permanent. You can try soaking the affected area in warm, soapy water or applying rubbing alcohol to the area.
— Gorilla Glue (@GorillaGlue) February 4, 2021
Hier gilt: Lieber einmal zu viel freundlich antworten, als einmal zu wenig. Zumal die Botschaft eine andere wichtige Adressatengruppe so durchaus erreicht: Die Öffentlichkeit sieht, welche Botschaft das Unternehmen Tessica zu überbringen versucht. Die Gorilla Glue Company zeigt Mitgefühl – und bietet praktische Hilfestellung. Der dazwischengequetschte Satz, der von der Anwendung der Produkte an Haaren abrät, ist wertfrei formuliert, auf die nötigste Information beschränkt. Das Unternehmen zeigt Empathie und gewinnt so Sympathie, statt sich auf juristische Positionen zurückzuziehen und empathielos zu betonen, dass man sich nichts vorzuwerfen hätte. Das erleben wir in vergleichbaren Situationen leider nicht oft – obwohl die „wir sind unschuldig-Nummer“ nicht nur die Klebstofffirma unweigerlich in eine asymmetrische Auseinandersetzung hineingezogen hätte, in der sie in Zeiten von Social Media nur verlieren kann.
Gorilla Glue tappt nicht in diese Falle, bezieht statt dessen nach zahlreichen Anfragen im immer gleichen Tenor immer klar Stellung auf Facebook und Twitter:
We are very sorry to hear about the unfortunate incident that Miss Brown experienced using our Spray Adhesive on her hair. We are glad to see in her recent video that Miss Brown has received medical treatment from her local medical facility and wish her the best. pic.twitter.com/SoCvwxdrGc
— Gorilla Glue (@GorillaGlue) February 8, 2021
Parallel dazu geht die Firma konsequent gegen ihre Imitatoren vor. Sucht aktiv im Social Web nach Fake-Postings in ihrem Namen, und kennzeichnet sie mit einer adäquaten Standard-Formulierung als Täuschungsversuch. Twitter sperrt in Folge zahlreiche dieser Accounts vorübergehend.
Mühevoll, aber lohnenswert: Gorilla Glue kommt in der Berichterstattung in renommierten, reichweitenstarken Medien wie der New York Times und bei CNN ausgesprochen gut weg. Die Kombination aus hoher Sichtbarkeit mit guter Reputation beschert Gorilla Glue umgehend einen deutlichen Umsatzschub – ohne auch nur einen Dollar mehr für Werbung auszugeben.
Das Beispiel zeigt, wie wichtig es für Unternehmen ist, die Diskussion über das eigene Unternehmen und seine Produkte in redaktionellen wie Sozialen Medien laufend im Blick zu halten und das Hochkochen potenziell kritischer Themen zeitnah zu identifizieren. Ein Prozess, der heute durch moderne Verfahren der Künstlichen Intelligenz in Form von Social Listening weitgehend automatisiert werden kann. Das ermöglicht, schnell zu reagieren und die eigene Stimme im öffentlichen Diskurs hörbar machen. Denn der Fall zeigt auch: Wenn Unternehmen den Diskussionen im Social Web fernbleiben, dann führen andere sie an ihrer Stelle. Und das kann unentgegnet schnell eine Eigendynamik entwickeln und zu einem Reputationsdesaster führen.
Nicht nur für die Gorilla Glue Company ging die Geschichte gut aus. Zwar konnten weder das örtliche Krankenhaus noch die per Social Media eingegangenen Tipps Tessica Brown von dem ausgehärteten Superkleber befreien. Aber Dr. Michael K. Obeng konnte es. Von einer Patientin auf Browns Lage aufmerksam gemacht, trennte der in Beverly Hills praktizierende Schönheitschirurg Leim und Haare erfolgreich in einer mehrstündigen Operation (die in erster Linie aus Haarewaschen mit einem für genau diesen Zweck selbstgemischten Lösungsmittel unter Sedierung bestand) – kostenlos.
Eine gut gewählte CSR-Maßnahme: Der Facharzt nutzt seine besonderen Stärken und Fähigkeiten, um einer Person in Not zu helfen, die genau dieser Hilfe dringend bedarf. Obeng stärkt damit auch seine eigene fachliche Reputation, da er sich als der einzige in dieser Geschichte erweist, der die Herausforderung tatsächlich bewältigen kann. Und lenkt dabei weltweite Aufmerksamkeit auf seine vor allem in Entwicklungsländern tätige Stiftung Restore, eine „non-profit medical service organization that provides free reconstructive surgery and related medical services to children and adults with disfiguring deformities from birth, accidents and diseases“.
An diese Stiftung leitet die glückliche und dankbare Tessica Brown nun Spenden weiter, mit denen Internet-Nutzer ihr ursprünglich helfen wollten, mögliche Behandlungskosten zu tragen – die sie jetzt aber nicht mehr benötigt.
Zur Abwechselung also mal eine Geschichte, die zum Schluss nur Gewinner kennt. Ein dreifaches: Ende gut, Reputation gut, alles gut. 🙂
Roland Heintze
www.reputationzweinull.de
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