Klage gegen Start-up wird für Pharmahersteller Sanofi zum Reputationsproblem
Mit Anwälten drohen, um den eigenen Ruf zu schützen – das geht schnell nach hinten los. Diese Lektion muss der Medikamentenhersteller Sanofi gerade in Österreich bitter lernen. Der Pharma-Goliath versucht, ein kleines Wiener Start-up mit der ganz großen juristischen Keule zum Schweigen zu bringen. Doch sein David lässt sich von dem mächtigen Konzern nicht einschüchtern. Die Folge: Schlechte Presse für Sanofi – ein hausgemachter Reputationsschaden. Besonders ärgerlich: Der wäre leicht vermeidbar gewesen wäre, wenn Sanofi sein Handeln konsequent am eigenen Unternehmensleitbild ausgerichtet hätte.
Wie beeinflussen sich unterschiedliche Medikamente, wenn sie gleichzeitig eingenommen werden? Die Antwort auf diese Frage verspricht eine Datenbank der 2011 gegründeten Wiener Firma „Diagnosia“. Ärzte und Apotheker können darin schnell die aus der Forschung bekannten Wechselwirkungen von Medikamenten nachschlagen. Unter vielen anderen auch die des Schmerzmittels „Novalgin“ von Sanofi, Wirkstoff: Metamizol.
Sanofi hatte den Eindruck, dass seinem Arzneimittel in der Datenbank einige Wechselwirkungen zu Unrecht zugeschrieben wurden. Die Reaktion des Pharmaherstellers: Ein zweiseitiger Brief an Diagnosia, den das österreichische Magazin „Profil“ wie folgt zusammenfasst:
„[…]in dem in harschem Ton ein „Rechtsanspruch auf Unterlassung, Beseitigung und Schadenersatz“ erhoben wurde. Ferner wurde ein Forderungskatalog beigefügt, dessen Akzeptanz „unverzüglich, das heißt heute bis 18.00 Uhr, schriftlich zu bestätigen“ sei. Rechtliche Schritte behalte man sich vor. […] Sanofi verlangte deshalb die Löschung aller entsprechenden Einträge vom Webportal. Zudem wurde insistiert, „binnen drei Tagen alle Nutzer der Plattform, die ärztlichen Leiter aller Krankenanstalten in Österreich, die Leiter aller Anstaltsapotheken und Medikamentendepots über die Richtigstellung“ zu informieren. Überdies müsse eine Richtigstellung in der Apothekerzeitung geschaltet werden.“
Juristischer Overkill. Vermutlich dachte sich Sanofi: Wenn die Drohkulisse nur groß genug ist, wird so eine Mini-Firma sicherlich schnell klein bei geben – Problem gelöst. Was Sanofi nicht im Blick hatte: Diagnosia war sich vollkommen bewusst, welche Folge ein Einknicken für die eigene Reputation gehabt hätte. Hätten sie auch nur einmal so einer Forderung eines Herstellers nachgegeben, wäre das Vertrauen in die Aussagefähigkeit der Datenbank und damit die Geschäftsgrundlage zerstört gewesen. Statt sich einfach zu beugen, lies Diagnosia die beanstandeten Aussagen von einer seiner renommiertesten Quellen prüfen: Dem schwedischen Karolinska-Institut, bekannt für die Auswahl der Medizin-Nobelpreisträger. Ergebnis: Die Aussagen auf Diagnosia sind wissenschaftlich fundiert.
Die Strategie der juristischen Einschüchterung brachte Sanofi nicht nur nicht den gewünschten Erfolg – sie schädigte die Reputation des Arzneimittelherstellers und seines Produktes mehr, als es der Eintrag in der Datenbank für Fachkräfte je gekonnt hätte. Denn der Streit zog (vorhersehbar) die Aufmerksamkeit der Presse auf sich. Durch sein eigenes Verhalten erweckt der Pharmahersteller in der Berichterstattung den Eindruck: Sanofi versucht, Gefahren seiner Medikamente durch Einschüchterungen zu vertuschen. Außerdem wird darin eine der Ursachen des Streits offengelegt: Dass die Wirkungsweise von Metamizol insgesamt kaum erforscht ist. Und auch erwähnt, dass das Schmerzmittel in einigen großen Märkten wegen potenzieller schwerer Nebenwirkungen gar nicht zugelassen ist. Beim Leser bleibt hängen: Sanofi und seine Produkte sind gefährlich. Das ist viel schlimmer als einem Fachpublikum sachlich zu sagen: Passen Sie bei der Anwendung auf folgende Wechselwirkungen auf.
All dies hätte Sanofi leicht vermeiden können. Dafür hätten man sich nur das Selbstverständnis des eigenen Unternehmens vor Augen führen müssen. Auf seiner Homepage beschreibt sich Sanofi folgendermaßen selbst:
„Sanofi ist eines der weltweit führenden Gesundheitsunternehmen. Mehr als 110.000 Mitarbeiter stehen in 100 Ländern im Dienst der Gesundheit. Sie erforschen, entwickeln und vertreiben therapeutische Lösungen, um das Leben der Menschen zu verbessern.“
Und wie würde ein führendes Gesundheitsunternehmen reagieren, dass das Leben der Menschen mit therapeutischen Lösungen verbessern will, wenn es von potenziell schädlichen Wechselwirkungen eines seiner Produkte hört?
Es würde sich freundlich an Diagnosia wenden, und um Aufklärung im Sinne der Patientensicherheit bitten, und, wenn tatsächlich ein Fehler vorliegen sollte, diesen durch belastbare Informationen widerlegen. Und wenn kein Fehler vorliegt, die gewonnen Erkenntnisse selbst für die Produktsicherheit einsetzen.
Das wäre kein Reputationsverlust, sondern ein -gewinn gewesen. Sanofi hat Diagnosia statt dessen verklagt. Ein bereits angesetzter Gerichtstermin wurde allerdings kurzfristig ohne Angabe von Gründen verschoben. To be continued…