KiK ist ein Lehrstück, wie Befreiungsschläge in der Krisen-PR schief gehen
259 Menschen starben vor drei Jahren in einer Textilfabrik in Pakistan, Dutzende wurden verletzt. Der Textildiscounter KiK ließ dort fertigen. Doch KiK treffe keine Schuld: Der Fabrikbesitzer habe sich geweigert, Schutzgeld zu zahlen. Deshalb wurden Notausgänge blockiert und ein Feuer gelegt. Doch diese Argumentation verfängt nicht. Lesen Sie hier, woran die Krisen-PR von KiK scheitert.
„Es war ein grauenvolles Ereignis“, schreibt das Handelsblatt. „Rasend schnell fraß sich das Feuer vom Treppenhaus durch den Aufzugsschacht in den zweiten Stock der Textilfabrik von Ali Enterprises. 259 Menschen hatten keine Chance, lebend aus dem Gebäude in Karachi zu kommen, Dutzende weitere wurden verletzt.“ Kurze Zeit später wird diese Katastrophe zur Kommunikationskrise von KiK, denn der Billighändler ist wichtigster Kunde von Ali Enterprises. KiK wird die Geschichte über Jahre nicht los und ist mittlerweile das Synonym für die gewissenlose Textilproduktion in Billiglohnländern. Dabei verweist KiK auf offizielle Ermittlungen in Pakistan, dass es ein krimineller Brandanschlag war, für den die Textilkette keine Verantwortung habe. Außerdem zeigt sich KiK fürsorglich und zahlt 1 Million US-Dollar Soforthilfe an Opfer und Angehörige. Ohne Erfolg.
Es gibt drei Gründe, warum der Befreiungsschlag von KiK gescheitert ist:
1. Dem Schmuddelkind traut man nicht
Das Unternehmen verspricht, dass sich jeder für 30 Euro komplett bei KiK einkleiden kann. Und das stimmt. Das geht jedoch nur durch konsequentes Sparen, sowohl in den heimischen Filialen als auch in den asiatischen Textilfabriken. Nach Recherchen von ARD & Co. zahle KiK Hungerlöhne, toleriere menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und nutze Mitarbeiter hemmungslos aus.
https://www.youtube.com/watch?v=Cd2pze9YRys
Dass KiK aus Sicht der Öffentlichkeit eine Mitschuld an der Toten in Pakistan trägt, ist eine Folge der fortwährenden Negativberichterstattung vor dem Unglück. Man hat dem Billighändler schlicht zugetraut, dass er so verantwortungslos ist – weil er ja schon so oft verantwortungslos war.
2. Mächtige Gegner konfrontieren KiK mit belastenden Vorwürfen
Die Opfer werden unterstützt von der Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional an Human Rights (ECCHR) und der Hilfsorganisation Medico Internetional. Gewerkschaften thematisieren die Verantwortung europäischer Auftraggeber für die Produktionsbedingungen in Billiglohnländern. Und alle zusammen sorgen dafür, dass das Unglück im fernen Karachi nicht in Vergessenheit gerät. Der stete Tropfen höhlt den Stein, und so erodiert das KiK-Image beständig. Neueste Attacke: Seit diesem Frühjahr steht KiK in Dortmund vor Gericht. Drei Hinterbliebene und ein früherer Mitarbeiter klagen auf Schadenersatz, weil KiK Hauptkunde der Fabrik war und damit besondere Verantwortung getragen habe.
Die FAZ berichtet: „Die Einhaltung dieser Regeln (Verhaltensregeln von KiK, d. Red.) ist nach Angaben der Klageerwiderung zwischen 2007 und 2011 viermal von einem amerikanischen Wirtschaftsprüfer testiert worden. Jedes Mal wurde die Fabrik mit „High Risk“ bewertet. Diese höchste Risikoeinstufung erhalte das Gros der Textilfabriken in den südostasiatischen Billiglohnländern, sagt der Rechtsbeistand von KiK.“ Diese Sicht lässt sich der Öffentlichkeit nicht vermitteln: Die skandalösen Zustände sind in Pakistan normal, also haben wir keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen, selbst wenn unsere eigenen Verhaltensregeln verletzt wurden. KiK demontiert sich damit selbst. Offiziell. Gerichtsfest. Die NGOs werden mit Freuden aus der Verhandlung zitieren…
3. KiK zaudert spürbar mit den eigenen guten Vorsätzen
Der Verhaltenskodex von KiK ist glasklar formuliert:
Gleichzeitig schreibt KiK auf seiner Webseite: „Die überwiegende Zahl der Produktionsstätten liegt in Asien, hier besonders in China und Bangladesch. Bangladesch ist ein vergleichsweise armes Land mit vielen Problemen. Die Textilproduktion ist hier ein wichtiger Wirtschafts- und Einkommensfaktor. Die Arbeit in einer guten Textilfabrik in Bangladesch gehört zu den besseren Jobs. Der Anteil der Frauen an der Arbeitnehmerschaft liegt höher als in anderen Branchen. Da wir zum Teil in Ländern einkaufen, in denen die Entwicklung und der Wohlstand nicht mit deutschen Gegebenheiten zu vergleichen sind, kommt es vor, dass die genannten Standards nicht automatisch erfüllt sind, obwohl sie uns auf den ersten Blick doch als selbstverständlich erscheinen.“
Es gibt also durchaus Verfehlungen gegen den Kodex. Nun mag man zu Recht argumentieren, dass es ein westeuropäischer Realitätsverlust ist, einen derart ambitionierten Standard in armen Ländern hundertprozentig durchzusetzen. Aus Kommunikationssicht zieht dieses Argument leider gar nicht. Verbraucher streben nach der „guten Welt“: Menschen werden nicht gequält, die Umwelt wird geschont, und alles ist fair gelöst. Die Verantwortung dafür delegieren die Verbraucher an die Unternehmen, machen sich so von der eigenen Verantwortung frei – und bestehen auf der Erfüllung der gesellschaftlichen Erwartungen. Und seien sie noch so rosarot. KiK hätte zumindest aufzeigen müssen, dass das Unternehmen ernsthaft um die Erfüllung seiner eigenen Maßstäbe kämpft. Diese Chance ist vertan.
So ist KiK für Krisenkommunikatoren ein hervorragendes Lehrstück, wie eine Firma in die Negativwahrnehmung rutscht und wie ein kommunikativer Befreiungsschlag in der Krisen-PR fehl schlägt – weil die nötige Konsequenz und Glaubwürdigkeit fehlen.
KiK wird noch eine ganze Zeit lang von seinen Gegnern vor sich her getrieben. Jetzt würde nur ein Neustart helfen, bei dem das Unternehmen sich drastisch neu ausrichtet, das zügig glaubhaft macht und dann die neue Linie auch lebt. Doch dann reichen 30 Euro nicht mehr, um sich vollständig einzukleiden.
Jörg Forthmann
P.S.: Lesen Sie auch „Der lange Arm des schlechten Rufes“.