„Gay Friendly“: Thalys-Mitarbeiter bepöbelt küssendes Pärchen
Der Vorgang dauerte etwa fünfzehn Minuten und das viele Geld, welches der belgisch-französische Schnellzug-Betreiber Thalys in eine „Gay Friendly-Kampagne“ gesteckt hatte, war verpufft – durch das Fehlverhalten eines einzelnen Mitarbeiters. So schnell kann die Reputation eines ganzen Unternehmens Schaden nehmen, insbesondere, wenn zusätzlich die Meldekette für reputationsgefährdende Ereignisse versagt oder gar keine existiert. Doch, was war passiert?
Der Fall
Ein Bahnsteig in Paris, Mitte Februar. Die 35-jährige Mirjam verabschiedet sich von ihrer Freundin Claire. Das Paar wird sich länger nicht sehen, ein letzter, sehnsüchtiger Kuss – und plötzlich steht ein Service-Mitarbeiter des Schnellzugs „Thalys“ vor den beiden und beginnt zu pöbeln. Küssende Frauen – das sei „nicht tolerabel“; Küssen sei „heterosexuellen Paaren vorbehalten“. Eine Viertelstunde lang, bis zur Abfahrt des Zuges, belästigt der Eisenbahner die beiden. Mirjam beschwert sich nach der Abfahrt im Zug bei einem anderen Bahn-Mitarbeiter. Der verweist lediglich auf die Beschwerde-Sektion auf der Thalys-Homepage. Mirjam nutzt diese – nur um erst Tage später eine nichtssagende, scheinbar standardisierte Antwortmail zu erhalten, man werde das untersuchen. Und dann wochenlang wieder nichts zu hören. Für die Thalys-IT schien der Fall erledigt, nicht für Mirjam. Sie suchte sich Verbündete und wendet sich an die Organisation „All out“, die Thalys mithilfe einer Online-Petition zur Reaktion zwingt: Binnen 24 Stunden finden sich mehr als 60.000 Unterstützer. Erst jetzt realisiert Thalys, dass nicht nur Werbegeld in für die Zielgruppe nunmehr leere Versprechen versenkt wurde, sondern der eigenen Reputation auch in der breiten Öffentlichkeit erheblicher Schaden droht. Die Reaktion könnte direkt aus dem Lehrbuch stammen:
Die Reaktion
Die Pressemitteilung und das Wording der Verantwortlichen sind klar und deutlich:
- Mit der Überschrift „Ambiguity surrounding homophobia cannot be tolerated” und dem hervorgehobenen Satz „Thalys would like to emphasize its attachment to the values of open-mindedness and respect and does not tolerate any form of homophobia, whether words or actions” bezieht Thalys klar Stellung und distanziert sich deutlich von dem Verhalten des Mitarbeiters.
- In der Meldung äußern sich CEO und Personalvorstand persönlich. Das zeigt, dass das Problem (jetzt endlich) angemessen ernst genommen wird.
- Es wird zwar erwähnt, dass der Mitarbeiter bei einem Subunternehmer angestellt ist; dies aber nicht als Versuch genutzt, die Verantwortung für den Vorfall abzustreiten, sondern Konsequenzen gezogen.
- Es werden klare Aussagen zu den Konsequenzen gemacht: Der Mitarbeiter wurde suspendiert, der Vorfall untersucht, Mitarbeiter zukünftig besser geschult.
Das einzige, was in der Pressemeldung fehlt, ist eine direkte Entschuldigung bei der Kundin. Es ist aber zu vermuten, dass diese auf persönlichem Wege durch Thalys-CEO Agnès Ogier erfolgte, ohne den Vorgang allzu offensichtlich zum PR-Event zu degradieren. Wobei eine Erwähnung legitim wäre und ein weiterer positiver Reputationseffekt durch die Unterstützung der Arbeit von „All out“ hätte erzielt werden können.
Learning: Mangelhafte Meldeketten lösen Reputationskrisen aus
So gut die Stellungnahme auch sein mag – einen entscheidenden Mangel hat sie doch: Sie kam viel zu spät. Das Unternehmen hätte nicht erst auf Druck der Online-Petition reagieren dürfen, sondern hätte umgehend selbst aktiv werden müssen. Dies hätte den Reputationsschaden deutlich eindämmen können, denn erst nach der Online-Petition interessierte sich auch die internationale Presse für den Vorfall.
Deswegen sollten die Konsequenzen neben allen Mitarbeiter-Schulungen unbedingt auch die Institutionalisierung einer Meldekette für reputationsgefährdende Ereignisse enthalten. Kluge Unternehmen testen diese auch im Rahmen ihres Risikomanagements regelmäßig. Selbst IT-gestützte Beschwerde-Systeme können durch hinterlegte Suchwortkombinationen „sensibilisiert“ werden.
Im Optimalfall hätte schon der erste Mitarbeiter, an den sich die Kundin noch während der Zugfahrt wandte, erkennen müssen, dass „Mitarbeiter beschimpft Kundin diskriminierend eine Viertelstunde lang auf Bahnsteig“ keine Kleinigkeit ist, die mit dem Verweis auf eine Webseite abgetan ist. Natürlich kann nicht jeder Mitarbeiter zum Experten in Krisenkommunikation geschult werden. Aber er muss einen zuständigen Ansprechpartner kennen und erreichen können, der den Fall umgehend übernimmt und dafür Sorge trägt, dass der Vorfall ohne Zeitverlust die Chefetage erreicht. Denn erst das lange Warten auf eine angemessene Reaktion hat den Fall eskalieren lassen. Wie Mirjam dem britischen Mirror sagte: „I am upset that the company did not just come out and apologise.”