Wirecard-Skandal: Was EY nicht aus der Geschichte gelernt hat
Es war einmal eine große Aktiengesellschaft, mit einer starken Reputation als Innovator. Ihr Börsenkurs stieg über Jahre in schwindelerregende Höhen, denn sie fuhr regelmäßig schier unglaubliche Gewinne ein. Wie genau sie dieses Geld verdiente, war von außen kaum nachvollziehbar; denn die Struktur des Konzerns war ein sehr unübersichtliches, über viele Länder verstreutes Firmengeflecht und die Buchhaltung sehr, sehr kompliziert. Aber die Bilanzen der Aktiengesellschaft wurden Jahr für Jahr von einer der weltweit größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften testiert , also schien alles doch seine Ordnung zu haben.
Bis Journalisten etwas genauer hingeschaut haben. Die Reporter fanden Hinweise auf seltsame Überweisungen und Cashflows, und wunderten sich, warum ein angeblich so traumhaft profitables Unternehmen immer mehr Schulden anhäufte.
Es stellte sich heraus: Die angeblich so traumhaften Gewinne und Umsätze existierten nur auf dem Papier, dank mit hoher krimineller Energie und Kreativität betriebener Bilanzfälschung. Der einstige Börsenliebling ging mit Milliardenschulden in den Konkurs.
Auch der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die die undurchsichtigen und fehlerhaften Bilanzen Jahr für Jahr testierte , liefen die Kunden weg, denn Vertrauen und Reputation waren zerstört. Kurz darauf verschwand dieser bis dahin „Global Player“ selbst komplett vom Markt.
Moment mal…
Sind Sie jetzt verwirrt? Verständlich – aber ich spreche nicht von Wirecard und Ernst & Young. Das ist die Geschichte von Enron und Arthur Andersen LLP. Andersens Untergang machte aus den bis dahin „Big Five“ der weltweiten Wirtschaftsprüfer die „Big Four“, die wir heute kennen.
Oder sollte ich sagen: Die wir derzeit noch kennen?
Ernst & Young, oder auch „EY“ („ieh-wei“), wie sich die Wirtschaftsprüfer inzwischen lieber nennen lassen, scheinen aus der Enron-Geschichte offensichtlich nichts gelernt zu haben – die ersten Großkunden wenden sich von Ernst & Young ab. Ob aus den Big Four demnächst die Big Three werden, entscheidet sich auf dem „Schlachtfeld der Reputation“.
Wie radikales Reputation Management einen Wirtschaftsprüfer vor dem Untergang bewahren kann
Ernst & Young hat nur durch ein kompromissloses Reputationsmanagement eine Chance, dem Schicksal von Arthur Andersen LLP zu entgehen. Bisher fällt EYs Bilanz in dieser Disziplin allerdings eher schwach aus…
Reputation Management: Was hat EY falsch gemacht?
Die erste Säule des Reputationsmanagements ist, aktiv nach Reputationsrisiken im eigenen Unternehmen zu suchen und diese abzustellen. Das hat EY bei Wirecard versäumt, obwohl wie bei Enron die ersten roten Flaggen bei Wirecard schon vor Jahren hochgingen. Zwei Beispiele:
Der heutige Investmentblogger mit dem Pseudonym „Memyselfandi007“ wies bereits 2008 (!) in einem Forum-Post auf Ungereimtheiten in Wirecards Geschäftsbericht hin. Laut seinem lesenswerten, aktuellen Blogartikel fiel ihm schon damals unter anderem auf, dass im Bericht nicht schlüssig zwischen dem Geld von Wirecard und dem seiner Kunden unterschieden wurde („it was never clear what cash actually belonged to Wirecard and what was customer’s money“), und dass Wirecard einerseits behauptete, über eine hohe Liquidität und Profitabilität zu verfügen, aber trotzdem laufend neues Kapital eintrieb. Hier hätte ein systematisches Social Listening EY helfen können, frühzeitig auf eine erste Spur des Betrugs zu kommen.
2018 wurde es dann konkreter: Um dem Erfolgsgeheimnis von Wirecard und seinen enorm hohen berichteten Renditen auf die Spur zu kommen, verglich der Journalist und Analyst Thomas Borgwerth für „Finanz-Szene.de“ den Geschäftsbericht von Wirecard mit dem seines niederländischen Konkurrenten Adyen. Ihm fiel auf: Beide Unternehmen folgten einem nahezu identischen Geschäftsmodell, trotzdem wies Wirecard eine rund viermal höhere Marge aus. Aber während der (nominell kleinere) Erfolg von Adyen „sich auf Basis der veröffentlichten Zahlen sehr gut nachvollziehen“ lies, fand er keine schlüssige Erklärung für die behauptete vierfach höhere Marge bei Wirecard – die blieb „rätselhaft“.
Dass etwas faul ist im Hause Wirecard, war scheinbar auch ohne die Expertise eines der weltgrößten Wirtschaftsprüfer und dessen Zugang zu internen Informationen zu erkennen. Trotzdem den Jahresabschluss von Wirecard allen Auffälligkeiten zum Trotz wieder und wieder zu testieren, hätte EY als relevantes Reputationsrisiko identifizieren und entsprechend behandeln müssen. Dass dies nicht passiert ist, spricht, freundlich formuliert, für einen wenig systematischen Umgang mit den eigenen Reputationsrisiken. Dabei liegen die Instrumente auf der Hand.
Jetzt ist keine Schadensverhinderung mehr möglich, nur noch Schadensbegrenzung. Leider ist EY auch hier auf dem Holzweg. Die Wirtschaftsprüfer versuchen, sich selbst in einer Opferrolle zu inszenieren. „Es gibt deutliche Hinweise, dass es sich um einen umfassenden Betrug handelt, an dem mehrere Parteien rund um die Welt und in verschiedenen Institutionen mit gezielter Täuschungsabsicht beteiligt waren“ teilt EY der Presse an dem Tag mit, an dem Wirecard seinen Insolvenzantrag verkündet . Und gegen Betrug seien auch die besten Prüfer nicht gefeit.
Doch dass EY schlicht keine Chance gehabt hätte, den Betrug zu erkennen, ist nicht nur im Hinblick auf die ignorierten Alarmsignale aus den vergangenen Jahren unglaubwürdig. Sondern auch dadurch, dass Konkurrent KPMG im Zuge seiner Sonderprüfung von Wirecard im April sehr schnell zahlreiche kritische Probleme bei Wirecard entdeckte, ohne den bevorzugten Zugang zu Management und Unterlagen zu haben, über den EY als Bilanzprüfer verfügte.
Das spricht entweder für einen Mangel an Kompetenz, oder einen Mangel an Integrität – beides unverzichtbare Grundlagen für eine gute Reputation. In beiden Fällen ist eher die Inszenierung einer „radikalen Aufklärung“, denn die des „hilflosen Opfers“ anzuraten.
Letzter Ausweg: Radikale Aufklärung
Wenn EY das Ruder noch herumreißen und das verlorene Vertrauen und damit seine Reputation zurückgewinnen will, sollte der Konzern die Verantwortung für die unverdienten Testate übernehmen, sowie hart und ehrlich in den eigenen Reihen aufklären – ggf. selbst in der Chefetage. Erst dann folgt ein überzeugender Plan, wie EY in Zukunft verhindern will, dass sich die Geschichte (nochmal) wiederholt. Auch hier gibt es eine historische Parallele: Eben solche radikalen Maßnahmen waren es, die die nach dem Phantomkonten-Skandal angeschlagene US-Traditionsbank Wells Fargo gerettet haben, und es scheint so, dass nur sie EY das Schicksal von Arthur Andersen LLP ersparen können.
Was macht Ernst & Young stattdessen derweil? Schweigen. Das ist nicht gut für die Reputation…
Roland Heintze
www.reputationzweinull.de
P.S.: Komplett verschwand Andersen übrigens gar nicht vom Markt. Viele der einzelnen regionalen Gesellschaften aus dem Andersen-Verbund wurden schlicht von den verbliebenen „Big Four“ aufgesaugt. Und nun raten Sie mal, bei wem Arthur Andersen Germany landete…
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