Wie unklare Zuständigkeiten zum Reputationsrisiko werden
Kooperationen zwischen Unternehmen oder Organisationen bieten viele Vorteile: Fähigkeiten, Ressourcen und Expertisen können gebündelt, Risiken und Kosten geteilt werden. Bei guter Planung kommt noch ein beiderseitiger Reputationstransfer hinzu.
Kooperationen bergen aber auch Risiken für die Reputation. Besonders gefährlich für den Ruf – und den Erfolg – des gemeinsamen Projekts ist ein strategischer Fehler, der zu oft gleich zu Beginn der Zusammenarbeit gemacht wird und leicht vermieden werden kann:
Es wird kein Hauptverantwortlicher festgelegt
Wenn sich jeder Partner nur um „seinen“ Bereich kümmert, aber niemand die offizielle Federführung und Verantwortung für das gesamte Projekt innehält, schafft man sich einen „accident waiting to happen“. Denn wenn niemand wirklich „den Hut auf hat“, fehlt nicht nur der Überblick über die Effizienz der gemeinsamen Arbeit. Es schafft vor allem auch Anreize, statt Reputationsrisiken frühzeitig zu suchen und anzugehen, schlicht die Verantwortung beim anderen zu sehen und Lösungen dafür so lange zu vertagen, bis eine „Leiche im Keller“ schließlich hochploppt und eine handfeste Krise auslöst.
Aktuelle Fallbeispiele zeigen die bitteren Folgen eines solchen Strukturversagens
Ein aus den aktuellen Schlagzeilen gegriffenes Beispiel bedeutet gleichzeitig einen herben Rückschlag für Deutschlands Reputation als führende Forschungs- und Technologienation: Das Institut für Rundfunktechnik (IRT) wird abgewickelt und aufgelöst. Auch wenn der Name IRT den meisten Verbrauchern kaum bekannt ist – die Erfindungen und Entwicklungen, an denen das Forschungsinstitut in seiner mehr als sechs Jahrzehnte währenden Geschichte entscheidend beteiligt war, sind in unserem Alltag allgegenwärtig: Fernsehen in Farbe und Stereo (PAL), Videotext, MPEG-Audiokompression und vieles mehr.
Das IRT ist eine gemeinsame Institution aller ARD-Anstalten sowie der Deutschen Welle, des Deutschlandradios, des ZDF und des Österreichischen und Schweizer Rundfunks. Im Hinblick auf seine Forschungs- und Entwicklungsarbeit genießt das IRT international einen exzellenten Ruf. Weniger gut bestellt ist es leider um seine betriebswirtschaftliche Expertise. Missmanagement und mangelnde Aufsicht führten dazu, dass dem Institut ein dreistelliger Millionenbetrag an Patenterlösen entging (der zumindest teilweise wohl in den Taschen eines zwielichtigen Anwalts landete). Offensichtlich fühlte sich über Jahrzehnte niemand für die geschäftliche Seite des Instituts zuständig. Zusammen mit den großzügigen Pensionsversprechen im öffentlichen Rundfunk führte dies dazu, dass in der Kasse des IRT jetzt ein Loch von 40 Millionen Euro klafft.
Im vergangenen Dezember warf das ZDF das Handtuch, stieg als Gesellschafter aus – und alle anderen folgten, denn keiner wollte der letzte am Tisch sein, der auf der Rechnung sitzen bleibt. Verantwortung für das Desaster will aber keiner übernehmen. Schuld sind natürlich die jeweils anderen. So antwortet zum Beispiel die Pressestelle der ARD, also dem Verbund von neun der 14 beteiligten Sender, der F.A.Z.: „Wie Sie wissen, wird das Institut für Rundfunktechnik ja von den 14 Einzel-Gesellschaftern getragen. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir nicht für diese gesammelt sprechen können.“
Keiner der Beteiligten hat sich in der Causa IRT mit Ruhm bekleckert; dennoch fällt der Bayerische Rundfunk besonders auf. Der Grund: Das IRT ist beim BR in München angesiedelt. So lange alles gut lief, haben sich die Bayern gern mit der Technologieschmiede geschmückt. Jetzt, wo alles den Bach runtergeht, versuchen sich der bajuwarische Sender und sein scheidender Intendant Ulrich Wilhelm in Höchstgeschwindigkeit vom einstigen Schmuckstück auf seinem Fernsehgelände zu distanzieren. So besteht er juristisch spitzfindig darauf, dass der BR nicht die „federführende Anstalt“ sei, sondern sich nur als „Sitzanstalt“ sehe, und reagiert angefasst, wenn Journalisten bei dieser Spitzfindigkeit nicht mitziehen wollen.
Auf jeden Fall sind Millionen Euro flöten, für die letztlich die Rundfunkbeitragszahler aufkommen müssen; die Forschungs- und Technologieführerschaft ist auch futsch und die Reputation aller Beteiligten ramponiert. All das hätte mit einer klar geordneten Projektverantwortung vermieden werden können.
Einziger und auch nicht so richtiger Trost für die Sendeanstalten: Immerhin stehen sie mit diesem Problem nicht allein da. Ein schon 2019 erstellter, aber erst jetzt veröffentlichter Untersuchungsbericht des Geheimdienstausschusses im britischen Parlament über russische Aktivitäten gegen das Vereinigte Königreich und dessen Gegenmaßnahmen moniert ebenfalls, dass diese Gegenmaßnahmen auf unterschiedliche Ministerien, Behörden und Dienste verteilt sind, ohne dass eine gemeinsame Strategie und eine letztendliche Verantwortung erkennbar sind: „It has been surprisingly difficult to establish who has responsibility for what. Overall, the issue of defending the UK’s democratic processes and discourse has appeared to be something of a ‘hot potato’, with no one organisation recognising itself as having an overall lead.“
Und letztlich sehen wir das gleiche Problem auch ganz aktuell in Deutschland im Wirecard-Skandal, in dem wir bei vielen involvierten Aufsichtsbehörden und -Institutionen ebenfalls ein Schwarzer-Peter-Spiel beobachten können, in dem sich niemand für den Gesamtkomplex verantwortlich sieht.
Deswegen: Lernen wir aus den Fehlern anderer. Nutzen wir Kooperationen, um Synergien zu heben, aber legen künftig von vornherein fest, wer für das jeweilige Projekt den Hut auf hat. Denn schon schlicht unklare Zuständigkeiten schaffen ein hohes Reputationsrisiko – einen „accident waiting to happen“.
Roland Heintze
www.reputationzweinull.de
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