Der Vatikan hat den päpstlichen Twitter-Account @Pontifex beinahe geschlossen. „Vulgarität“ und „Grobheit“ hatten die Kurie erschüttert. „Nach reiflicher Überlegung habe man sich jedoch entschieden, den Kanal offen zu halten“, berichtet die Mittelbayerische Zeitung. Ähnlich frustrierende Erfahrungen hat die Deutsche Bank mit Ihrem Experten-Chat in Facebook gemacht. Eigentlich wollte man sich mit der Community über die Geldanlage 2014 austauschen, doch statt dessen hagelte es Kritik zu Agrarspekulationen. Doch Deutschlands größte Bank hat nicht die Größe der Kurie und lässt daher alle Beiträge entfernen, die sich mit der Veranstaltung befassen. Papst und Deutsche Bank sind in die gleiche Falle getappt – davon lässt sich lernen.
Auf dem Twitter-Kanal des Papstes und auf der Facebook-Seite der Deutschen Bank ist das gleiche Phänomen aufgetreten: Die Community hat endlich eine Plattform gefunden, auf der sie ihren Unmut und ihre Kritik – in welcher Derbheit auch immer – artikulieren kann. Es ist ein Ventil, über das sich Druck entlädt. Social Media sind Dialogmedien, und die Beteiligten werden mit Dialogwünschen konfrontiert. Ob sie wollen oder nicht. Vatikan und Deutsche Bank sind dem Irrtum erlegen, dass sie nur die Dialoge bekommen, die sie haben wollen. Welch Irrglaube! Endlich findet die Community einen Kanal, um „ihre Meinung den Verantwortlichen direkt vor die Füße zu kippen“. Direkt auf der Plattform des Sünders. Näher geht es fast nicht.
Dieser Effekt tritt immer dann auf, wenn kritische Themen in der öffentlichen Diskussion nicht aufgearbeitet sind. Kurie und Deutsche Bank lernen jetzt, dass diese Flucht im Internet nicht gelingt und der Versuch, positive Sichtbarkeit zu erzeugen pervertiert wird.
Die Banker gehen besonders radikal vor, nach dem Motto: Was nicht sein darf, gibt es auch nicht – und entfernt kritische Beiträge. Das stachelt die Community nur noch auf. Denn diese Aktion zeigt:
- Die Deutsche Bank ist nicht in der Lage, mit Argumenten auf die Vorwürfe zu reagieren. Sonst würde sie ihre guten Argumente vortragen. „Also haben wir recht!“
- Das Streichen von unliebsamen Post verstößt gegen die Netikette. Anleitungen im Internet zum Entfachen von Shitstorms raten dazu, absichtlich das Streichen von Posts zu provozieren. Denn das führt zur Solidarisierung im Internet.
Liebe Deutsche Bank, da ist Euch selbst die konservative Kurie voraus.
Wer die Kritik kanalisieren will, sollte sie auf themenorientierte Plattformen umleiten und sich dort offen und engagiert mit ihr auseinandersetzen. Das lässt sich hervorragend mit Offline-Aktivitäten verbinden, die die Deutsche Bank bereits angestoßen hat. Das ist der richtige Weg.
Jörg Forthmann