„Web Excellence Forum“ hat das Web 2.0 noch nicht so ganz verstanden
Wenn man erstmal eine Facebookseite oder einen Twitter-Kanal hat, lassen sich Follower, Fans und Likes sehr einfach zählen. Aber um die Frage „Was bringt mir das, und ist das ein guter Wert?“ zu beantworten, bedarf es einer tiefergehenden Analyse und einem Vergleich mit anderen Unternehmen.
Eine solche vergleichende Analyse der Facebook-Seiten und Twitter-Kanäle von der Allianz, Bayer, Bosch, Daimler, Lufthansa, Opel und RWE bietet die „WebXF Brand Advocate-Studie“, deren Zusammenfassung hier für Corporate-Social-Media-Verantwortliche im Tausch gegen ein paar persönliche Daten erhältlich ist. Das „Web Excellence Forum“, zu dem 30 Großunternehmen gehören, wertete dafür Verhaltensdaten von 160.000 Usern und Inhalte von 15.000 Nutzerbeiträgen sowie zusätzlich 5.500 von Usern ausgefüllte Fragebögen aus.
Methode und Ergebnisse sind durchaus fundiert und interessant, bei genauerer Betrachtung treten jedoch auch einige grundlegende Schwächen zu Tage.
Hauptergebnisse der Studie:
Nur fünf Prozent der Twitter-Follower und Facebook-Fans der untersuchten Unternehmen sind „aktiv“, das heißt im Rahmen dieser Untersuchung, sie haben innerhalb von sechs Monaten mindestens einmal selbst gepostet / kommentiert oder mindestens einen der letzten 30 Unternehmens-Post geliked.
0,8 Prozent der Nutzer haben mehr als eine dieser Aktionen durchgeführt und gelten dadurch als „engagiert“.
Das Verhalten dieser engagierten Nutzer hat die Studie anschließend genauer untersucht und sie in fünf Gruppen unterteilt:
Elf Prozent der Engagierten sind „Bindungslose“: Sie interagieren zwar wiederholt, zeigen aber keine Beziehung zur Marke
Vier Prozent bezeichnen die Autoren als „Pflegefälle“: Nutzer, die zwar wiederholt posten, inhaltlich dabei aber nur Service-Anfragen stellen.
Weitere vier Prozent sind „Kritiker“: Sie verfassen wiederholt negative, aber nie positive Beiträge.
Die größte Gruppe bilden mit 62 Prozent die „Stillen Multiplikatoren“: Sie liken und/oder retweeten regelmäßig Beiträge, verfassen aber keine eigenen Inhalte.
17 Prozent der engagierten Nutzer sind so genannte „Brand Advocates“: Diese Marken-Fürsprecher äußern sich mehrfach positiv über die Marke, aber nie negativ. Allerdings ist dies ein Durchschnittswert mit einer besonders breiten Streuung: Je nach Marke schwankt der Anteil der „Brand Advocates“ zwischen drei und 37 Prozent.
In der ergänzenden Pressemitteilung zur Studie erklärt das WebXF dies insbesondere mit der Markenpositionierung: „So fällt es attraktiven High Involvement Brands leichter, viele Fürsprecher um sich zu scharen als Low Involvement Marken.“ Und nicht nur der Anteil der Fürsprecher schwankt stark – auch ihre Zusammensetzung: „Der Anteil der Kunden an den Brand Advocates streut zwischen 4 und 85 Prozent und beträgt im Schnitt 42 Prozent. Die größte Gruppe unter den Brand Advocates sind die Mitarbeiter mit 47 Prozent. Hier zeigt sich eine Kluft zwischen den avisierten und den tatsächlich erreichten Zielgruppen. Während die Dialogangebote der Fanpage-Betreiber auf Kunden und Interessenten abzielen, erreichen sie häufig eigene Mitarbeiter. Umgekehrt bieten sich dadurch neue Möglichkeiten für die interne Kommunikation.“
Die Haupt-Empfehlung, die das WebXF aufgrund dieser Ergebnisse ausspricht, lautet: „Stille Multiplikatoren mit passenden Kommunikationsangeboten dazu zu animieren, sich über die Marke zu äußern“ – also „Stille Multiplikatoren“ gezielt in „Brand Advocates“ zu verwandeln.
„Stille Multiplikatoren“ zu identifizieren und gezielt zu versuchen, sie zu „Brand Advocates“ auszubauen, ist natürlich durchaus eine sinnvolle Social-Media-Maßnahme.
Aber die breite Streuung des „Brand Advocate“-Anteils schlicht mit „es gibt halt Low- und High-Involement-Marken“ abzutun und bei einem hohen Mitarbeiter-Anteil darunter Facebook kurzerhand als Mittel der internen Unternehmenskommunikation zu empfehlen – in diesen Schlüssen sehe ich zwei entscheidende Denkfehler.
Denn für die interne Kommunikation ist das weltöffentliche und in Bezug auf Datensicherheit mehr als fragwürdige Facebook denkbar ungeeignet – so etwas ist viel besser im firmeneigenen Intranet aufgehoben. Und dass einige Unternehmen bei Facebook und Twitter besonders wenig externe Fürsprecher haben, andere besonders viele (dieser Wert schwankt zwischen vier und 89 Prozent) – das zeigt vor allem eines:
Nicht für jedes Unternehmen lohnt sich ein Facebook-Auftritt oder Twitter-Kanal.
Das Social Web besteht aus weit mehr als nur diesen beiden Angeboten. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber auch diese Studie zeigt in erster Linie: Wesentlich für den Erfolg einer Social-Media-Strategie ist, frühzeitig zu identifizieren, welche Web-2.0-Kanäle für das eigene Unternehmen, die eigene Marke, die eigenen Produkte wirklich relevant sind – wo bewegen sich die Zielgruppen, wo diskutieren sie die für das eigene Unternehmen relevanten Themen? Das können je nach Marke und Produkt durchaus Facebook oder Twitter sein – sehr oft sind sie es aber nicht.
Ebenfalls störe ich mich aus zwei Gründen daran, Fans, die Facebook und Twitter für Service-Anfragen nutzen, in deutlich negativer Konnotation als „Pflegefälle“ zu bezeichnen. Zum einen drückt sich dadurch eine herablassende Haltung gegenüber den echten, medizinisch Pflegebedürftigen aus. Und wenn so etwas sogar mir aufstößt, will das was heißen – denn ich bin nicht gerade als überbordender Verfechter der „Political Correctness“ bekannt. Aber auch fachlich zeigt diese Einstellung ein grundlegendes Nicht-Verstehen des Unterschieds zwischen klassischen und Sozialen Medien: Das revolutionäre am Web 2.0 ist, dass es eine Zwei-Wege-Massenkommunikation ermöglicht. Wer nur seine eigenen Inhalte in althergebrachter Einbahnstraßen-Manier unters Volk bringen will, und die Aufgabe seiner Follower/Fans ausschließlich darin sieht, diese Inhalte kostenfrei weiterzuverbreiten, der hat das Web 2.0 nicht verstanden und nutzt sein Potenzial nicht aus. Gerade das Feedback der Stakeholder (und bei Service-Anfragen wohl meist noch genauer: Kunden) erlaubt, wichtige, nutzbringende Informationen von ihnen zu erhalten – und das so gewonnene Wissen gezielt einzusetzen, um die eigenen Produkte und Dienstleistungen so zu verbessern, dass ihr Erfolg am Markt steigt.
Lieber Herr Heintze,
herzlichen Dank für Ihren umfangreichen Beitrag zu unserer Studie. Als wissenschaftlicher Leiter der Studie möchte ich mich gern zu Ihren Argumenten und Schlussfolgerungen äußern.
Vorab: Ich stimme in vielem mit Ihnen überein … lediglich von Ihrer Überschrift möchte ich mich deutlich distanzieren 😉
Noch einmal kurz zur Motivation der Studie: Es ist verhältnismäßig leicht, Fan- und Followerzahlen zu vergleichen oder zu überprüfen, welche Auftritte und Inhalte besser oder schlechter aktivieren. Aber wie sind solche Zahlen zu interpretieren, wenn ich nicht weiß, mit wem ich als Unternehmen bzw. Marke da interagiere (Kunden, Mitarbeiter, andere Stakeholder) und wie sich diese Personen über längere Zeiträume verhalten: Zeigen sie eine Bindung an den Kanal, an die Marke? Worin unterscheiden sich Personen mit verschiedenen Aktivitätsmustern? Wie entwickeln sich die Aktivitäten über die Zeit?
Auf Facebook und Twitter haben wir uns beschränkt, weil uns der Vergleich zwischen Unternehmen wichtig war – das wird schwierig, wenn wir uns mit Fachforen o.ä. befassen. Und auf G+ und Co sind die Fallzahlen (also die aktiven Nutzer) für unser Studiendesign einfach zu klein. Die Beschränkung hat also schlicht forschungspragmatische Gründe.
Nun betrifft Ihre Kritik v.a. die Ergebnisinterpretation. Sie sagen: „Nicht für jedes Unternehmen lohnt sich ein Facebook-Auftritt oder Twitter-Kanal.“ Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Nur ist die Frage, ob Unternehmen XY besser zu Facebook oder Twitter gehen sollte oder lieber ein Blog betreibt, nicht Gegenstand der Studie. Uns geht es v.a. darum, Stärken und Schwächen eines bereits etablierten Kanals sowie Potenziale aufzuzeigen. Solche Schlüsse lassen sich nur aus den individuellen Ergebnissen je Unternehmen ableiten, nicht aus den Durchschnittswerten aller Studienteilnehmer. Die Individualergebnisse können wir aber leider nicht veröffentlichen, sorry.
Thema interne Kommunikation: Dass ich als Großkonzern meine interne Kommunikation nicht auf eine Facebook-Fanpage auslagere, ist glaube ich klar 😉 Aber: Ich stelle fest, auf meiner Fanpage sind zu 80% die eigenen Mitarbeiter aktiv. Ist das schlimm? Kommt drauf an: Wenn ich auf meiner Fanpage Markenkommunikation mit einer klaren Ausrichtung auf die Kunden-Zielgruppe betreibe, dann ist es zumindest suboptimal. Aber wenn ich als internationaler Konzern auf meiner Fanpage Unternehmenskommunikation betreibe und sich dort meine Mitarbeiter aus Indien, Brasilien, Südafrika und Japan über Aktuelles aus dem Unternehmen informieren und sich darüber austauschen, wie stolz sie sind, bei mir zu arbeiten, dann ist das eben nicht schlecht. Dann kann so ein Kanal durchaus eine Ergänzung zum Intranet sein und vermittelt darüber hinaus noch ein positives Bild.
Thema Pflegefälle: O.k., der Punkt geht an Sie, die Begriffswahl ist optimierbar. Eine negative Konnotation war nicht beabsichtigt – vielmehr die Betonung, dass hier ein Nutzer besondere Unterstützung benötigt. Ich nehme Ihren Hinweis aber gerne an und wir werden uns bemühen, bei der nächsten Studie einen schöneren Begriff zu finden bzw. besser zu beschreiben, was wir damit meinen. Na klar ist 2-Wege-Kommunikation erwünscht. Das Ziel bei Personen mit wiederholten Serviceanliegen ist aber: Möglichst gut um deren Anliegen kümmern, damit sie zufriedene Kunden bleiben oder werden und sich letztlich vielleicht sogar zu aktiven Fürsprechern entwickeln. Es geht uns hier also überhaupt nicht darum, die Nutzer in „gut“ und „schlecht“ einzuteilen, sondern Handlungsfelder für den Kanalbetreiber zu verdeutlichen.
Viele Grüße
Herbert Flath
Hallo Herr Flath, danke dass Sie sich so intensiv mit meinem Beitrag beschäftigen. Ich bin gespannt auf die nächste Runde Ihrer Studie, und werde sie dann gern wieder aufgreifen.
Viele Grüße,
Roland Heintze