Shitstorm wegen Tierquälerei in der Lieferkette: Haribos Verhaltenskodex fehlt der Biss
„Für HARIBO sind ethische und moralische Standards nicht verhandelbar. Wir verlangen von unseren Lieferanten deshalb auch verbindliche Tierschutzstandards, die in unserem globalen Verhaltenskodex (Code of Conduct) festgeschrieben sind. Zu deren Einhaltung haben sich sämtliche unserer Vertragspartner verpflichtet. Dieser Kodex beinhaltet dabei auch, diese Standards in der Lieferkette bei Zulieferern der 2. und 3. Reihe einzufordern.“
Klingt gut, nicht wahr? Wer etwas danach sucht, findet dieses Markenversprechen der unverhandelbaren ethischen und verbindlichen Tierschutz-Standards im Online-FAQ des Süßwaren-Giganten.
Trotzdem sieht sich Haribo im Oktober in einem veritablen Shitstorm mit dem Vorwurf konfrontiert, mit Tierquälern zusammenzuarbeiten. Auslöser: Der Verein „Deutsches Tierschutzbüro e.V.“ hat die Lieferkette der bei Haribo verwendeten Gelatine zu Westfleisch zurückverfolgt – ein industrieller Fleischkonzern, der aktuell in der Kritik steht, nachdem Fälle von katastrophalen Haltungsbedingungen, Verstößen gegen Tierschutzbestimmungen und Tierquälerei in mehreren vermeintlichen Vorzeige-Zulieferbetrieben durch heimliche Videoaufnahmen aufgedeckt wurden. Der genossenschaftliche Großbetrieb hat in den letzten Jahren schon häufig Negativ-Schlagzeilen gemacht: unter anderem für die Arbeitsbedingungen auf seinen Schlachthöfen und Verdacht auf Sozialversicherungsbetrug sowie Steuerhinterziehung in einem undurchsichtigen Geflecht aus Sub- und Sub-Sub-Unternehmen.
Deshalb fordern Tierschutzbüro und Social-Media-Nutzer Haribo auf, keine Gelatine aus den Skandalbetrieben mehr einzukaufen und die Geschäftsbeziehungen zu Westfleisch zu beenden.
Haribos Reaktion: In einem Facebook-Kommentar führt der Goldbärenhersteller aus, dass das Unternehmen „die jüngsten Vorwürfe sehr ernst“ nähme. Doch die Zusammenarbeit könne es nicht beenden, da Haribo „keine direkten“ Vertragsbeziehungen zu Westfleisch unterhalte (wie auch nicht zu anderen Unternehmen der Fleischwirtschaft). Es handele sich vielmehr lediglich „um einen von vielen Zulieferern unseres Lieferanten“. Der Süßwarenkonzern verweist auf seinen globalen Verhaltenskodex und die darin eingeforderten Tierschutzstandards. Weist die Verantwortung für deren Einhaltung auf den weiter unten gelegenen Stufen der Lieferkette aber weit von sich – dafür seien laut Kodex eben die Lieferanten zuständig, nicht Haribo selbst. Nichtsdestotrotz habe man „umgehend“ nach den Anschuldigungen zur Klärung des Sachverhalts „Kontakt“ mit dem Vertragspartner aufgenommen. und verspricht deshalb, dort auch eigene Kontrollen zu „intensivieren, um potenzielle Missstände umgehend beseitigen zu lassen“. Schließlich seien ethische Standards für das Unternehmen eben „nicht verhandelbar“.
Ist diese Krisenkommunikation geeignet, um die öffentliche Empörung einzudämmen und die Reputation von Haribo zu schützen?
Zunächst: Dass Haribo die Einhaltung von Tierschutzstandards in einem Code-of-Conduct für seine direkten Lieferanten explizit und verbindlich einfordert und sie auch in die Pflicht nimmt, diese wiederum bei ihren eigenen Zulieferern durchzusetzen, ist im ersten Schritt eine gute Idee. Und der Hinweis darauf in dem Facebook-Kommentar von daher durchaus legitim – aber das allein reicht nicht: Haribo muss sich auch um die Einhaltung dieses Verhaltenskodex kümmern – auf allen Stufen seiner Lieferkette.
Wir Norddeutschen nennen das „Butter bei die Fische“ packen: Keine halben Sachen machen. Oder anders ausgedrückt: Große Worte können nur positiv auf die Reputation einzahlen, wenn ihnen auch große Taten folgen. Andernfalls sind sie mehr Reputationsrisiko als Reputationsschutz.
Leistung + Verhalten + Kommunikation = Reputation
Das bedeutet nicht nur, wirklich wirkungsvoll zu reagieren, wenn Verstöße gegen den Code of Conduct in Presse oder Social Media bekannt werden. Sondern vor allem, danach zu suchen und sie abzustellen, bevor sie öffentlich werden.
Haribo hat die Einhaltung von Tierschutzstandards und ihre Unverhandelbarkeit zu einem Markenversprechen erhoben.Wenn ein Unternehmen diese bricht, ist der Schaden für die Reputation doppelt schwerwiegend – und lässt sich nur durch klare Konsequenzen wiederherstellen.
Der Süßwarenhersteller mag zwar keine eigenen, unmittelbaren Vertragsbeziehungen zu Westfleisch pflegen, die gekündigt werden könnten. Aber Haribo könnte sich von dem Lieferanten trennen, der seine Gelatine über Westfleisch bezieht. Denn ohne Sanktionen bei Verstößen bleibt Haribos Code of Conduct nur eine Absichtserklärung und droht, zu einem Lippenbekenntnis zu verkommen. Ein zahnloser Tiger ohne Biss.
Zumal Haribo von all dem nicht überrascht sein dürfte – denn das passiert nicht zum ersten Mal: Bereits vor fünf Jahren wurde in einer ARD-Dokumentation
„[…] Bildmaterial gezeigt, das Umweltschützer in Schweinemastbetrieben in Norddeutschland aufgenommen haben. Die nicht genannten Betriebe liefern Schweinehaut für den Fleischhersteller „Westfleisch“, der sie für Haribos Gelatine-Lieferanten „Gelita“ aufbereitet. Das Bildmaterial zeigt Schweine mit offenen Wunden und Entzündungen, die in geschlossenen Ställen in Käfigen auf ihren eigenen Exkrementen und teilweise zwischen anderen toten Tieren leben. Einigen Tieren fehlte Trinkwasser. Tierärzte, die in der Sendung zu Wort kamen, sagten, diese Verhältnisse verstießen offensichtlich gegen die deutschen Tierschutzgesetze.“
Der Goldbär-Konzern reagierte damals fast wortgleich wie im aktuellen Fall und versprach, das Thema „proaktiv“ nachzuverfolgen. Hätte Haribo dieses Versprechen erfüllt, würde das Unternehmen heute nicht wieder vor dem selben Problem stehen.
Also bitte, Haribo: Butter bei die Fische!
Dann klappt’s auch mit der Reputation…
Roland Heintze
www.reputationzweinull.de
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