Best Practice: Supermarkt-Kette Billa nutzt belanglose Beschwerde gewitzt für Aufbau ihrer Reputation
Durch die Sozialen Medien treten heute Dinge ans Tageslicht, von denen wir früher keine Vorstellung hatten. Dazu gehört unter anderem: Über was für erstaunliche Dinge sich Leute doch aufregen können.
Wendet sich diese Empörung im Web 2.0 gegen ein Unternehmen, bedeutet das für dessen Social-Media-Manager Arbeit. Sie müssen im ersten Schritt einschätzen: Ist dies ein Troll, den man besser nicht füttern sollte? Oder die Keimzelle eines schweren Shitstorms, der in die redaktionellen Medien überschwappen und die Reputation der Firma nachhaltig schädigen könnte – und deshalb schnell, empathisch und integer beantwortet werden sollte? Manchmal ist es auch etwas Drittes – nämlich einfach eine gute Gelegenheit.
Ein Facebook-Post, der die österreichische Supermarkt-Kette „Billa“ Anfang Juli erreichte, war so ein Fall der dritten Art. Und Billa hat die Gelegenheit erkannt und vorbildlich genutzt.
Die große Katastrophe, die Daniel W. der Welt mitteilen musste: Sein bei Billa gekauftes belegtes Brötchen (im Alpendialekt „Semmel“) war zwar glatt, aber nicht horizontal, sondern schräg aufgeschnitten!
Der Post regte andere Nutzer zu überraschend vielen Kommentaren an. Wild diskutierten sie zwischen „Jammern auf hohem Niveau“ und der Semmelschnitter „war früher ein Samurai!“. Soweit, so egal.
Bis ein anderer Nutzer sich wirklich aufregte: Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas Wien, verzweifelte an der Welt und fragte: „Wieso kann eine schief durchgeschnittene Semmel mehr Likes bekommen als ein Posting über hungernde Kinder?“ Er wies in seinem Post auf eine Spendenaktion der Caritas hin und forderte seine Leser auf, ihn zu teilen. Ziel: Sein Spendenaufruf möge mehr Aufmerksamkeit finden als das „Empörungswurschtsemmelposting“. Gut gemeint, aber auf Facebook leider ohne Erfolgsaussicht.
Damit war Billas Stunde gekommen… Die Rewe-Tochter fertigte ein einfaches, aber witziges und passendes Web-Video unter dem Motto „All Wurstsemmeln are beautiful!“. Billa veröffentlichte das Filmchen auf seiner Facebook-Seite – verbunden mit dem Versprechen: Für die ersten 5.000 Likes spendet das Unternehmen je einen Euro an die Caritas.
Ergebnis: Mehr Likes als für die anderen beiden Posts zusammen, 5.000,- Euro für den guten Zweck, viel Zuspruch für Billa und jede Menge positive Presseresonanz.
Perfekt gespielt von Billa: Es bestand zwar zu keinem Zeitpunkt Gefahr für die Reputation des Lebensmittelhändlers – aber gutes Reputation Management baut den Ruf auf, bevor er bedroht ist. Und dafür bot die Semmelschnitt-Beschwerde eine großartige Gelegenheit, als die Diskussion darum genug Aufmerksamkeit erregt und der Caritas-Post den Bezug zu einem wirklich relevanten Thema hergestellt hatte.
Das Social-Media-Team von Billa erkannte diesen Moment perfekt, und nutzte ihn vorbildlich. Das Video ist lustig, ohne beleidigend zu sein. Nicht zu teuer produziert, so dass die Reaktion nicht nach Overkill aussieht oder die Spendenhöhe im Vergleich lächerlich klein wirkt. Inhaltlich stärkt Billa den eigenen Mitarbeitern den Rücken.
Und der Film passt wunderbar in die bereits vorhandene, rege Diskussion im Social Web. Das sorgt (im Gegensatz zum – absolut verständlichen – Weltschmerz des Caritas-Sekretärs) für eine virale Verbreitung. Und mit der Verbindung „Spende an die Caritas für Likes“ sorgt Billa dafür, dass kein Aufmerksamkeits-Wettbewerb zwischen Posts über Brötchen-Schnitte und notleidende Menschen entsteht – sondern eine Synergie. So macht Billa auch Caritas-Mann Schwertner zu einem Gewinner. Und baut die eigene Reputation damit zünftig aus.
Roland Heintze
Derweil, bei Mediengau: Jörg Forthmann erklärt, was es heißt, wenn die (Sendung mit der) Maus über Autobauer spottet.