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Die Auguren der Influencer-Apokalypse

De-Influencing: Was der Trend zum Abraten für das Influencer-Marketing bedeutet

Schon mehr als 75 Millionen Views, Tendenz: weiter kräftig aufwärts. Auf TikTok trendet seit vergangener Woche #deinfluencing. Mit diesem Hashtag kennzeichnen vor allem weibliche Influencer, die sich mit Kosmetik- und Körperpflegeprodukten beschäftigen, eine inhaltliche quasi-180-Grad-Wende gegenüber dem, wofür die Beauty-Beraterinnen bislang bekannt sind.

Branchenbeobachter sind von der schlagartigen Entwicklung sichtlich überrascht und ringen um eine Einordnung. Optimistische Stimmen erkennen darin in erster Linie eine begrüßenswerte, aufklärerische Bewegung, bei der sich alles um „arming folks with knowledge, and trying to facilitate conversation, ideas, and critical thinking when it comes to personal style, consumption, cultural context, and fashion trends“ dreht (Mashable), während weniger idealistische De-Influencing als lediglich „selling the same bullshit with a new label“ beschreiben (Rollingstone).

Geprägt wird die Diskussion aber vor allem von denjenigen, die in dem TikTok-Trend das erste Symptom für einen mutmaßlich unmittelbar bevorstehenden, disruptiven Umbruch sehen, der im Influencer-Marketing kein Stein mehr auf dem anderen lassen wird. Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Das zeigt auch der Faktenkontor Social Media Atlas 2022.

  • De-Influencing zeige, „Gen Z and millennials are rejecting consumer culture“ (Fortune).
  • Es handele sich um einen „trend that aims to disrupt the influencer economy“
    und zumindest einige der Videos seien potenziell „a real threat to staple brands of the influencer economy who have historically poured a lot of ad dollars into influencer marketing“ (Insider).
  • Fachkundige Kommentatoren spekulieren, „dass Influencer Marketing nicht mehr so funktioniert, wie es das einmal getan hat?“
    oder sehen gar bereits „das Ende des Influencer Marketings“ gekommen (OMR)

Sollten Unternehmen also besser umgehend alle Projekte im Influencer-Marketing einstellen, Kontakte zu TikTokern, YouTubern, Bloggern & Co kappen? Ihre Verluste begrenzen, bevor der Einfluss der Influencer demnächst unvermeidlich auf einen Schlag verpufft?

Meine Einschätzung: Nein. Der Einfluss der Online-Influencer auf Kaufentscheidungen boomt seit Jahren und ist gerade erst auf neue Spitzenwerte geklettert, wie unser Social-Media-Atlas 2022 kürzlich zeigte. Und ich sehe im De-Influencing keinen Anlass, warum dieser Trend in der kommenden Ausgabe unserer langjährigen Studienreihe auf Grundlage repräsentativer Umfragen unter 3.500 Internet-Nutzern abrupt gebrochen werden sollte.

Denn anders als der Begriff es nahelegen mag, bedeutet De-Influencing mitnichten, dass die Influencerinnen keinen Einfluss auf ihre Fans und Follower mehr ausüben möchten. Ihr Einfluss soll jetzt lediglich das Gegenteil bewirken: Statt Produkte anzupreisen, raten die Social-Schönheitsexpertinnen in den #deinfluencing-Kurzvideos ausdrücklich von der Anschaffung bestimmter Marken-Produkte ab. Weil sie sie wahlweise überteuert, überflüssig oder over-hyped finden.

Und das ist letztlich alles andere als ungewöhnlich oder gar revolutionär.

Meiner Einschätzung nach sehen wir hier nichts anderes als ein „reputationsökonomisch“ normales Einpendeln der gegenseitigen Reputation der Player auf beiden Seiten, Unternehmen und Influencern. Beide sind – wissentlich oder unwissentlich – für ihren individuellen Erfolg auf einen guten Ruf angewiesen.

Mit Produkten schlechter Qualität, zweifelhaftem Nutzens oder überzogener Preise schädigt ein Unternehmen seinen eigene Reputation. Wenn eine Influencerin solche Produkte mit einer verdient schlechten Reputation empfiehlt, schadet dies ihrem eigenen Ruf. Und das kann sich, wer in der Influencer-Branche dauerhaft Erfolg haben will, nicht leisten. Umgekehrt schadet es auch der Reputation von Herstellern mit gutem Ruf, wenn sie mit zweifelhaften Influencern in Verbindung gebracht werden. Bildlich gesprochen fließt die Reputation jeweils von dem Partner mit dem besseren Ruf zum schwächeren Gegenüber ab.

In einem ganz normalen Marktbereinigungsprozess trennen sich hier jetzt schlicht auf beiden Seiten Spreu und Weizen: Influencerinnen versuchen, ihren Ruf zu schützen, indem sie sich von Marken distanzieren, die ein Reputationsrisiko darstellen und vice versa. Sie eliminieren also proaktiv Reputationsrisiken in ihrem geschäftlichen Netzwerk – eine der drei tragenden Säulen guten Reputationsmanagements.

Natürlich besteht die Gefahr, dass unseriöse Influencerinnen aus niederen Beweggründen auf den De-Influencing-Zug aufspringen und ungerechtfertigte Anschuldigungen in ihren #deinfluencing-Videos verbreiten. Weniger durch eine tatsächliche Unzufriedenheit mit den Marken und ihren Produkten als durch die potenzielle Aufmerksamkeit motiviert werden, die sie durch das öffentliche Dissen finden. Aber auch das wird sich für die betroffenen Unternehmen letztlich als harmlos erweisen. Denn mit wahllosen Angriffen machen sich selbsternannte Meinungsmacher unglaubwürdig und werden so irrelevant. Wenn diese Kategorie Influencerin gegen ein Unternehmen mit gutem Ruf meckert, kann sich dieses entspannt zurücklehnen und die Posts unkommentiert vorbei wabern lassen. Umso wichtiger wird es, dass die Kommunikationsabteilungen über eine belastbare Influencer:innen-Landkarte verfügen – data based communication at it’s best.

Also: Kein Grund zu Hyperventilieren. Der Einfluss der Influencer und die subsequente Bedeutung des Influencer-Marketings bleiben uns erhalten. De-Influencing zeigt nur: Unternehmen sollten bei der Auswahl der Kooperationspartner nicht nur auf deren Zielgruppe, sondern auch deren Reputation achten. Aber das gilt im Wirtschaftsleben allgemein – und das schon länger, als es Soziale Medien gibt.

Roland Heintze
www.reputationzweinull.de

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Quelle Beitragsbild:  @gpthree | https://unsplash.com/de/fotos/f-PH16nZHKI

Roland Heintze
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