„Amazon FC Botschafter“: Mitarbeiter zeichnen im Social Web rosarotes Bild der Arbeitsbedingungen bei Amazon – gute Idee für die Reputation?
Kein Tarifvertrag, Kameraüberwachung, ein grotesk überzogener Leistungsdruck, der Mitarbeiter aus Angst von Toilettengängen abhält,… Schon seit Jahren sind die Arbeitsbedingungen in seinen Versandzentren eine offene Wunde in der Reputation von Amazon.
Aber geht es in diesen sogenannten „Fulfillment Centers“, kurz FC, wirklich schlimm zu? Ganz und gar nicht! Betriebsklima, Bezahlung, Arbeitsumfeld – das ist in den Versandzentren alles voll total supi! Das erzählen uns zumindest die neuen „Amazon FC Botschafter“ im Social Web. Diese Botschafter sind laut Amazon Mitarbeiter aus den Warenlagern, die per Twitter und Facebook von ihrer Arbeit berichten.
Das tun sie allerdings nur, wenn jemand in einem Post die Arbeitsbedingungen bei Amazon zu kritisieren wagt. Dann antwortet zum Beispiel Amazon FC Botschafter „Andreas“ auf Vorwürfe über die Zustände in den Logistikzentren mit den Worten: „Im Schnitt beträgt unser Lohn bis zu 13€/Std.+ bis zu 14 % Boni. Klar kann man woanders vielleicht mehr verdienen. Aber eins ist Fakt „Wir sind alle Ungelernt“, somit ist die Gesamtsituation top.“ Und auf die Behauptung, Amazon sei einer der schlechtesten Arbeitgeber der Welt mit „zweidrittel der gesamten Mitarbeiter sind zufrieden hier, sonst wären nicht etliche bis zu 5 Jahre da. Und Arbeiten muss man überall, frei nach dem Motto „von nichts kommt nichts““. Kritik an Amazons Weigerung, einen Tarifvertrag abzuschließen? „Wir verdienen weit übern Mindestlohn, jeden Monat bis zu 12 % Boni, regelmäßige Lohnanpassungen, Getränke umsonst u.s.w. Ich bin der Meinung, wer denkt, mit Verdi ist alles besser bitte, ich für meinen Teil brauche kein Verdi.“ Zu Weihnachten lieber im stationären Einzelhandel als bei Amazon kaufen? Nö, denn Botschafterin „Anne“ genießt die Hochstressphase sogar ganz besonders: „Also ich empfinde die Weihnachtszeit als die spannendste Zeit des Jahres. Es ist einfach aufregend, ob man die Bestellungen alle pünktlich aus dem FC bekommt. Am schönsten finde ich es Geschenke zu picken. Ich fühle mich wie ein Helfer vom Weihnachtsmann.“
Irgendwer bei Amazon hielt diese Strategie offenbar für eine tolle Idee, um Amazons Reputation als Arbeitgeber im Social Web aufzuhübschen. Irgendwie ist dieser Plan aber nicht aufgegangen. Denn Presse und Web reagieren vor allem mit Unglauben und Spott auf die Botschafter.
Was lief hier schief?
Kurz gesagt: Amazon hat ein paar Dinge richtig, und dann ganz viel falsch gemacht. Und damit eine prinzipiell gute Idee in der praktischen Umsetzung grandios in den Sand setzt.
Echte, motivierte Mitarbeiter aus ihrem Arbeitsalltag in den Sozialen Medien berichten zu lassen, kann tatsächlich einen enormen Schub für das Employer Branding, für die Arbeitgeber-Reputation eines Unternehmens bedeuten. Vorbildlich ist, dass sich die „Botschafter“ klar als Amazon-Mitarbeiter identifizieren; und dass ihnen allem Anschein nach ein „Codex“ mit auf den Weg gegeben wurde, der ihnen zum Beispiel Beleidigungen verbietet.
Leider hat Amazon aber die wichtigsten Grundlagen für eine erfolgreiche Social-Media-Kampagne außer Acht gelassen: Authentizität und Content.
Statt eigenständig interessante Inhalte zu setzen und spannende Innenansichten zu bieten, beschränken sich Amazons Botschafter im Social Web darauf, kritischen Posts zu widersprechen. Und ihre Antworten klingen dabei durchweg nach einem reinen Marketing-Sprech, in dem Talking Points der Geschäftsführung runtergerattert werden. Wie hoch der Anteil zufriedener Mitarbeiter ist, wie angemessen das Lohnniveau, der Job als Chance für Ungelernte: Das sind alles berechtigte Botschaften – wenn sie von der Unternehmenskommunikationsabteilung verbreitet werden. Aber dass dies die Gedanken der Mitarbeiter am Fließband sind – ich vermag es nicht zu glauben. Und ohne Glaubwürdigkeit keine gute Reputation.
Wie authentisch ist Ihre Social-Media-Kommunikation?
Roland Heintze
www.reputationsprofis.de
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